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Grothe, Hugo [Bearb.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 2.1911/​1912

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Hartmann, Martin: Über einige Anlagen und Bauwerke Jarkends (Chinesisch Turkestan)
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https://doi.org/10.11588/diglit.69723#0040

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Über einige Anlagen und Bauwerke Jarkends (Chinesisch Turkestan).

Folgendes: „Baisä Bek war hier in Jarkend Wang1;
als er alt geworden war und zum Sterben kam,
mögen, das er in seiner Heimat besitzen will, wird längst
gegessen sein. Er bat mich mehrfach, ihn vor dem bri-
tischen Vertreter in Kaschgar freundlichst zu erwähnen.
Große Angst hatte er vor dem wegen seiner Intrigiensucht
und seiner rücksichtslosen Bosheit überall gehaßten russi-
schen Generalkonsul Petrowski, und als er diesen gefähr-
lichen Ränkespinner in einem unbewachten Augenblicke als
capqaq „Stecher“ (von giftigen Tieren gesagt) bezeichnet
hatte, bat er mich bald darauf flehentlich, zu niemand davon
zu sprechen. Mit seiner Freundschaft für die Ungläubigen
war es nicht weit her; er war in Wirklichkeit ein fanatischer
Schiit, der freilich die Sunniten, unter denen zu leben er
gezwungen war, wohl noch mehr haßte, als die Europäer.
Er konnte sich nicht genug tun, die Jarkender, sämtlich
Sunniten, herabzusetzen: „die Geistlichen sind ganz un-
fähig; niemand kennt die richtige Mittagszeit, um das Gebet
zu bestimmen; jeder Imäm nennt seine Moschee gämi',
und in mancher Mahalle gibt es 2 oder 3 Dschämis,
während es doch bekannt ist, daß zwischen 2 Dschämis
eine gewisse, nicht unbedeutende Entfernung sein muß;
das Handwerk liegt ganz danieder“; das letzte kann ich
bestätigen; bei der Wohnlichmachung des schwedischen
Missionshauses, das sehr vernachlässigt war, erwiesen sich
Maurer, Glaser, Töpfer und Schlosser von einer unglaub-
lichen Unfähigkeit und Unpünktlichkeit. Mit der Mission
(Schweden) hat Arabschä stets auf gutem Fuße gestanden,
und er hat ihr z. B. bei der Übersetzung des Neuen Testa-
mentes Dienste geleistet. Sehr eifrig wurde er, als er
einmal auf den Unfug der Saijids (er meinte die Chod-
schas) zu sprechen kam. „Ich selbst“, erzählte er, „habe
Folgendes erlebt: es war in den Anfängen des neuen
Islams für Turkestan; da zog eines Tages der Mann, der
damals die Herrschaft besaß, der Saijid Kämil Chän oder
Ekmel Chän [ich kann keine Spur dieses Namens finden,
es muß ein anderer Name für Büzürg Chän sein], dessen
Wezir Bädaulet [d. i. Ja'qüb Bek] war, in Jarkend ein; als
die Nachricht davon kam, riefen die dummen Jarkender
ghogätnni tawäf qylmaq (d. h. die eigene Hand an seinen
Händen reiben und dann damit über das Gesicht streichen)
qam jüznmüznt aqar „den Chodscham ehrfurchtsvoll be-
grüßen macht unser schwarzes Gesicht weiß“; was tat der
Schuft? er reichte den Leuten seine Peitsche, damit sie
sie berühren! Ich wandte mich voll Zorn ab“; richtig de-
duzierte er: „bei solcher Saijid-Verehrung ist dem Lande
ein islamisches Regiment nicht zu wünschen; denn gibt
der Fürst ihnen nach, so ist jeder Fortschritt unmöglich;
widersteht er ihnen, so tobt ein immerwährender innerer
Kampf“; der tertius gaudens sind dann die Chinesen“. — Mit
gelehrten Kenntnissen prunkte Arabschä nicht; im Gegen-
teil, er rühmte sich mir, daß er bei seinem Vater nur
vier Dschuz’ des Korans gelernt und auch später nie ein
regelmäßiges Studium getrieben habe: „sehen können und
denken können ist mehr wert als Bücherwust“. Nur einen
Wahn hatte er: einen besonders schönen persischen Stil
zu schreiben. In Wirklichkeit konnte er einen erträglich
korrekten persischen Brief schreiben, kaum mehr. Er

rief er den ihm befreundeten Aksakal Qasim Eli
[so]2 Chodscha aus Kaschmir und sprach zu ihm:
suchte immer den Verkehr mit außerordentlichen Menschen,
und von diesen war wohl der bedeutendste, am tiefsten
in sein Leben eingreifende der Mahbüb Sä*, über den er
Folgendes berichtete (am 17. Januar 1903): „Mahbüb Sä
Hazret, aus Käbul gebürtig, ließ sich in Jarkend nieder;
später baute er sich ein eigenes Heiligtum in Tschaichäne,
zwei Stunden von Jarkend auf der Straße nach Kaschgar;
dort tat er viel Gutes, gab den Reisenden ohne Unterschied
der Religion Asch (Plof), und erwarb die allgemeine Liebe
und Achtung; als ich dort als ganz junger Mensch vorbei
kam, rief Mahbüb Sä mich heran, bewirtete mich und
gab mir noch mit; später sah ich ihn noch oft und wurde
vertraut mit ihm; er küßte die Besucher, auch die Frauen,
die dorthin kamen, und niemand nahm Anstoß daran, war
er doch ein Söfl! Er starb am 94. und letzten Tage der
Belagerung Jarkends durch die Tunganen im Jahre 1278,
der die Einnahme folgte; Mahbüb Sä wurde besonders
von den Tunganen verehrt, hatte auch viele Muride unter
den Tunganen; sein Sohn Müsä, der sein Chalifa [vom
Volke durchaus chalpa gesprochen] war, ist auch schon
tot, und nun ist dessen Sohn Dä’üd Chalifa“. Von diesem
Dä’üd sprach Arabschä nicht sehr erbaut. Das Gesamt-
bild Arabschäs ist das eines originellen, selbständig denken-
den Mannes, der unter den schwierigen Verhältnissen ver-
kümmert ist; besser wurde es dem vielleicht bedeutenderen
Ewlad Husein, den ich in Zentralasiatisches aus
Stambul (Islam. Orient I) erwähnte, und den kennen zu
lernen (er besuchte mich auf der Durchreise in Jarkend)
mir eine aufrichtige Freude war: dieser Mann mit weitem
Blicke, dessen reger Geisi unablässig tätig ist, ist wirt-
schaftlich unabhängig; auch er ist natürlich Nichttürke.
Überall wo man geistige Regsamkeit, dauernde Tätigkeit
und höhere Begabung findet, ist es bei Personen, die
arischen Ursprungs sind. Das soll nicht ein allgemeines
Urteil über die Turkvölker darstellen, denn die Wolga-
Tataren zählen eine große Menge Personen von hervor-
ragenden geistigen und moralischen Eigenschaften. Aber
der Tiefstand der Bewohner Chinesisch Turkestans ist eine
Tatsache, die durch den Gegensatz der Fremden noch
schärfer hervortritt.
* Das Sä ist ebenso wie in Arabsä Zeichen des Schiis-
mus bei den Kaschmirern, denn die Sunniten haben Dschü
nach dem Namen. Jenes sä wird zu trennen sein von
dem säh, das sich vor Namen findet wie in Schäh Meschreb
(auch nur sä gesprochen).
1 Wenn Baisä Bek hier wang (chin. „König“) genannt
wird, während er sonst als Hakim (häkitn) bezeichnet wird,
so ist das eine Ungenauigkeit Arabschäs; denn wang be-
zeichnet die Zugehörigkeit zu einem alten Adelsgeschlecht,
siehe Anm. 1 zu S. 18 b. Über die Bedeutung des Baisä
siehe ebenda.
2 Ich weiß mit diesem Namen nichts anzufangen. Er
begegnet auch in dem Berichte der Balti-Leute (s. Anm. 1
zu S. 19b), in welchem von einem Rädschä Sefter Eli die
Rede war, wahrscheinlich als Rädschä der Kandschuten.

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