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Grothe, Hugo [Bearb.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 2.1911/​1912

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Schultz, A. v.: Zur Kenntnis der arischen Bevölkerung des Pamir
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https://doi.org/10.11588/diglit.69723#0049

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ist wohl das Bewußtsein, keiner Vermischung,
wie sie bei den Eingeborenen der umgebenden
Tiefländer herrscht, unterworfen zu sein.
Ihrer Religion nach sind die Tadschik
müridische Mohamedaner. Äußerlich fällt diese
Sekte schon durch den gänzlichen Mangel an
Moscheen auf, da die Geistlichen, die „Ischan’e“
die Gebete für die Bevölkerung in ihren eigenen
Behausungen verrichten. Die Verehrung, die die
Ischan’e, von denen viele sich als Nachkömm-
linge des Propheten Ali betrachten, seitens der
Eingeborenen genießen, ist groß. Der oberste
Geistliche der Müriden, Aga-Chan, lebt in
Bombay und wird von der Bevölkerung für
heilig gehalten. Er steht ganz unter dem Einfluß
der Engländer, denen dadurch eine nicht zu
unterschätzende Beeinflussung der Tadschik
gegenüber den Russen ermöglicht ist. Eine
Pilgerfahrt zu ihm gehört zu den frömmsten
Unternehmungen, und jährlich ziehen müridische
Ischan’e zu Seiner Heiligkeit nach Bombay.
Allgemein somatische Merkmale des Tadschik
sind folgende: schlanker, übermittelgroßer Wuchs,
lange Extremitäten mit kleinen Händen und
Füßen und mit, für ein als anerkannt tüchtige
Fußgänger bekanntes Volk, auffallend schwach
entwickelten Waden. Das Gesicht ist länglich,
mit gebogener Nase, tief sitzenden dunklen,
meistens braunen, grünen, grauen, selten blauen
Augen. Das Haar ist dunkel, braun und schwarz,
hin und wieder blond. Die Hautfarbe ist braun.
Schon eine oberflächliche Betrachtung der Ge-
sichter läßt aber oft Beimischung fremden Blutes
erkennen, welche die in letzter Zeit herrschenden,
geordneten politischen Verhältnisse, sowie der,
dank besseren Straßen, regere Verkehr mit den
Grenzländern hervorgerufen haben. Der afgha-
nische Typus macht sich in starkem, breitem Ge-
sicht geltend; der sartische vor allem durch grade
Nase oder dickere Lippen; der indische durch
auffallende Schmalheit des Gesichts; der kirgisische
durch hervortretende Backenknochen. Jüdischer
und als neuester, russischer Einfluß im Gesichts-
typus des Tadschik sind ebenfalls hin und wieder
zu beobachten. Der Charakter des Tadschik wird
durch die ihn umgebende Natur bestimmt.
Rauhes, extremes Klima, das den Ackerbau doch
recht erschwert, Gefahren, die die oft hals-
brecherischen, von Dorf zu Dorf führenden

Zur Kenntnis der arischen Bevölkerung des Pamir.
Pfade oder häufige Erdbeben bieten, haben den
südlichen Tadschik, den Wachaner physisch und
psychisch gesund gestaltet — er ist fleißig und
berechnend, tapfer und ernst. Der in milderer
Natur lebende nördliche Tadschik, der Ruschaner,
ist ziemlich indolent, sorgt nur darum, sich für den
Winter einen grade reichenden Vorrat an Korn und
getrockneten Früchten zu schaffen, da ihm im
Sommer das tägliche Brod — in Form von
Maulbeeren — wenn nicht grade in den Mund,
so doch so reichlich auf den Boden seiner
Gärten und Plätze fällt, daß die Weiber die
saftigen süßen Früchte morgens nur aufzusammeln
brauchen, bevor sie zertreten werden. Der
Ruschaner ist sorglos und faul, lebhafter, oft
schwatzhaft und neugierig und erinnert grade
durch letztere Eigenschaften schon mehr an den
Kirgisen des zentralen Pamir. Der zwischen den
Wachanern und Ruschanern lebende Schugnaner
steht in seinem Charakter den einen wie den
andern nah.
Eins haben aber alle Tadschik gemein und
unterscheiden sich dadurch wesentlich und vor-
teilhaft von den Eingeborenen der umliegenden
Gebiete — höchstens mit Ausnahme der
Hindukuschstaaten — sie sind ehrlich und
zeichnen sich durch schönen Familiensinn und
Liebe zu ihren Kindern aus. Das abgeschlossene
Leben, die so geringe und aus natürlichen und
politischen Verhältnissen immer äußerst schwierige
Verbindung mit der Außenwelt haben den Tad-
schik konservativ gemacht. Die Kämpfe mit den
Afghanen und die Unterdrückungen und Verge-
waltigungen seitens der bucharischen Fürsten vor
der Russenherrschaft haben ihn verschlossen und
dem Fremden schwer zugänglich werden lassen.
Nicht aus Stolz, wie z. B. der Eingeborene des
Kaukasus, verschließt er sich aber dem Europäer,
sondern mehr aus Furcht, auch von ihm aus-
gebeutet zu werden. Der Tadschik liebt über
alles sein Land, seine Überlieferungen und
achtet die alten Sitten und Gebräuche. Elegant
und liebenswürdig, stets höflich wird er auf den
Fremden einen angenehmen Eindruck machen —
der bei manchem Reisenden vielleicht noch durch
die Sitte, vor einem Wohlhabenden oder Vor-
nehmen aus dem Sattel zu springen und ihn
stehend vorbeizulassen, verstärkt wird.
Auffallend früh werden, aus rein sozialen

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