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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0114

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Weitere Entwickelung des Centralbaus.

meistens die Form des Centralbaus gewählt und zwar, wie man gewöhnlich
angiebt, nach dem Vorbilde der gleichnamigen Rotunden, der Baptisterien,
welche als Schwimmsäle in den Thermen gedient haben sollen. Man mag
diese Ableitung hinsichtlich des gleichlautenden Namens unangefochten
lassen, wiewohl Vitruv denselben nicht kannte. Hinsichtlich der Grundform
dagegen ist dieselbe mindestens gewagt, denn wo solche Baptisterien be-
schrieben werden, stimmt ihre Form keineswegs immer mit derjenigen der
christlichen Taufkirchen überein, während andererseits die ursprüngliche
Bestimmung der grossartigen Thermenrotunden entweder unbekannt ist,
oder, wie beim Pantheon und manchen Palastrotunden, auf andere Zwecke
hinweist.1) Jedenfalls darf man annehmen, dass es in dem heidnischen Rom
auch ausser den Thermen andere Centralbauten genug gegeben habe,
welche den christlichen Baptisterien als Vorbild dienen konnten. Uebrigens
ergab sich wrie für die Memorien so auch für die Taufkirchen die Central-
form ganz von selbst, denn sie passte eben hier wie dort am Besten für eine
Handlung, die sich inmitten eines gedrängten Kreises von Zuschauern vollzog.

Solche Centralbauten nun wurden anfänglich genau den aus heidnischer
Zeit überlieferten Vorbildern nachgeahmt, so nämlich, dass eine kreisrunde
oder polygone Umfassungsmauer, gewöhnlich von halbrunden und recht-
eckigen Nischen durchbrochen, dem Kuppelgewölbe ein rings herumlaufendes,
ununterbrochenes Auflager gewährte. Aber bald genügte eine solche Form
der Anlage nicht mehr. Das Auge verlangte eine reichere Gliederung des
Inneren, eine gewisse Mannigfaltigkeit des Aufbaus, Voraussetzungen die sich
vollends nicht umgehen Hessen, wenn solche Centralbauten mitunter auch
für den eigentlichen Gemeindegottesdienst errichtet wurden. Die Monumente
und damit die Belege fehlen, um die verschiedenen Versuche zu verfolgen,
■welche die allmählige Ausbildung des C'entralbaus bezeichnen, doch ergiebt
sich, dass die folgewichtigste Neuerung bereits in einem Gebäude aus dem
Anfänge des vierten Jahrhunderts durchgeführt wurde. Es ist diess das
Grabmal der Constantia, einer Tochter oderSchwester Constantins des Grossen,
bei S. Agnese vor den Mauern Roms. Das Ganze bildet ein Kreisrund,
aber die Kuppel ruht nicht mehr auf den Umfassungsmauern selbst, sondern
sie wird von Säulen getragen, die ebenfalls kreisförmig innerhalb der
Rotunde aufgestellt sind. Es entsteht daneben ein ringsherumlaufender
Umgang, der den Seitenschiffen der Basilika entspricht und dessen Gewölbe
dem hochansteigenden und selbständig beleuchteten Kuppelraume ein ge-
nügendes Widerlager bietet. Mit dieser Uebertragung des Basilikenschemas
auf den Centralbau hatte die christliche Architektur den ersten selbständigen
Schritt gethan. Ihre Schöpfungen bezeichnen forthin nicht bloss in formeller

I) Vergl. meine Abhandlung über den Central- und Kuppelbau S. 25 u. t.
 
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