Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0431

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
396

Das XIV. Jahrhundert.

tung, Erscheinungen, die sich als Anzeichen beginnenden Verfalls zu er-
kennen geben. In der Architektur des XIV. Jahrhunderts spiegelt sich
das Bild des damaligen Lebens, das ebenfalls die Blüthe des Mittelalters
nicht mehr darstellt. Auf allen Gebieten herrscht Gährung, beginnt eine
langsame aber stetige Auflösung der grossen Institutionen, welche die
Grundlage des mittelalterlichen Lebens gebildet hatten. Zwar behauptete
die Kirche auch jetzt noch ihr äusseres Ansehen, aber die Siege, welche
die Päpste über die weltlichen Machthaber errungen hatten, blieben nicht
ohne verderbliche Wirkungen; sie veranlassten zu weiteren Uebergriffen
und führten Zerwürfnisse herbei, aus denen sich bald ein Kampf auf
allen Punkten entwickelte. Dazu kam die Verweltlichung und Sitten-
verderbniss des Clerus, Käuflichkeit und schnöder Handel mit den Gaben
der Kirche waren an der Tagesordnung und zu diesem moralischen
Elend gesellten sich die mannigfaltigen Schrecknisse der Natur: Erd-
beben und Ueberschwemmungen, Misswachs, Theurungen und verheerende
Seuchen. Es war als ob Alles die Menschheit zu Busse und Einkehr
lenken sollte. Auch die politischen Verhältnisse hatten sich geändert;
das Kaiserthum hatte schon lange aufgehört der Mittelpunkt der Einheit
zu sein. Seine äussere Macht war gebrochen und die innere Stellung er-
schüttert durch Streit und Parteiungen, die oft zu zwiespältigen Königs-
wahlen führten. Solche Zustände blieben nicht ohne Rückwirkungen auf
die unteren Schichten. Es begann sich in weitem Umfange eine demo-
kratische Strömung zu regen, theils in Folge einer bewussten Opposition
gegen den Uebermuth des ritterlichen Adels und die Ueppigkeit des
Clerus, theils war dieser Uschwung ein Ergebniss der inneren Wandlung,
die in einzelnen Städten schon im XIII. Jahrhundert begonnen hatte und
sich, ein Kampf des bürgerlichen, zünftigen Elementes um Gleichberech-
tigung mit den alten privilegirten Geschlechtern, bald überall verfolgen
lässt. Auch in der Geschichte des Heimathlandes spiegelt sich dieser
grosse Kampf in allen seinen Phasen wieder: in dem Hader der Zünfte
mit der Aristokratie der Geschlechter, in der Auflehnung des Bürgerthums
gegen die Gewalt der Bischöfe. Vergebens sind Interdict und Bann;
über dem Kampf, der allüberall zwischen Staat und Kirche entbrannte,
war die Macht des kirchlichen Fluches, der König Ludwig traf, erlahmt.
In Basel, wird berichtet, wurde der päpstliche Geschäftsträger, der die
scharfen Bannbriefe anschlagen sollte, von der Pfalz beim Münster in den
Rhein geworfen, in Strassburg und Zürich der Clerus gezwungen, die
Stadt zu verlassen, „entweder lesen und singen oder aus der Stadt
springen“ war die Losung mit der die zum Bewusstsein ihrer Macht ge-
langten Bürger auf solche Maassregeln antworteten.1) In solchem Ringen

J) Basel im XIV. Jahrhundert S. [53.
 
Annotationen