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Paul Kalkoff:
stellen musste. Und doch liegt für die Zeit des ausgehenden XV. und für
das XVI. Jahrhundert ein grosser, noch ungehobener Schatz bereit, der
längst das Entzücken des Kunstfreundes ausmacht, für den Historiker aber
freilich nur auf weiten kritischen Umwegen nutzbar gemacht werden kann:
die vielen unbezeichneten Bildnisse, die, an sich schon sprechend genug,
doch noch weit deutlicher von ihrer Zeit und ihren Urbildern erzählen
würden, wenn es gelänge, die gestörte Beziehung zu jenen wiederherzu-
stellen. Die für diese Forschung angezeigte Methode muss zugleich für
die Biographie des Künstlers sich fruchtbar erweisen: es gilt, genau fest-
zustellen, mit wem er verkehrte, wer ihm als Freund oder Kenner uahe-
trat, wer durch fesselnde Züge seines Wesens ihm den nachschaffenden
Stift in die Hand drückte. Wird auch das Verfahren aus Mangel an
Quellen nicht überall anwendbar sein oder nicht sogleich zu Ergebnissen
führen, die man nett und rund in die Kataloge eintragen kann, so gilt es,
nichts destoweniger Hand anzulegen, die unbekannten Grössen methodisch
zu eliminieren: vielleicht, dass hie und da doch auch das letzte x sich
bewerthen lässt.
In diesem Sinne sollen die nachfolgenden Notizen die werthvolle
Arbeit der Vorgänger auf diesem Gebiete einen Schritt weiter zu fördern
suchen, und zwar bei einem Künstler, dessen reicher schriftlicher Nach-
lass schon lange zur Anwendung der beschriebenen Methode eingeladen
hat. Die jüngsten Arbeiten sind ja bekannt: wir meinen, von den nicht
der Detailforschung gewidmeten Biographieen abgesehen, die Ausgaben
der Briefe und Tagebücher Dürer’s von Thausing, Leitschuh und Fuhse-
Lange1) bei denen man ja die früheren Untersuchungen, von denen be-
sonders die von Verächter und Lochner hervorzuheben sind, angeführt findet.
Ehe ich nun zu dem Hauptgegenstand meiner Untersuchung, dem
Aufenthalt Dürer’s in den Niederlanden und seinem Verhältniss zu den
dortigen reformatorisch denkenden Kreisen gelange, sei es gestattet, einige
Lesefrüchte hier niederzulegen, die, wie sie zum Theil dem guten Glück
verdankt werden, so sich , wohl gelegentlich werden vermehren lassen.
Um der chronologischen Ordnung zu folgen, stehe hier zunächst eine
Anmerkung zu Dürer’s Briefen aus Venedig, deren Personennamen, soweit
sie sich auf Nürnberger Zeitgenossen des Künstlers beziehen, von G. W. K.
Lochner2) sonst mit vielem Fleiss und Erfolg aufgeklärt wurden, nur dass
Moritz Thausing, Dürer’s Briefe, Tagebücher und Reime, Wien bei
W. Braumüller 1892. 8°. (In R. Eitelberger von Edelberg, Quellenschriften für
Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, III. Bd.) Albrecht Dürer’s
Tagebuch der Reise in den Niederlanden, herausgeg. von Friedr. Leitschuh, Leipzig,
bei F. A. Broekhaus 1884. 8°. — Albrecht Dürer’s schriftlicher Nachlass, heraus-
gegeben von K. Lange und F. Fuhse. Halle bei M. Niemeyer 1893. 8°.
3) Personennamen in Dürer’s Briefen aus Venedig. Nürnberg 1870. 8°.
S. 35 ff. Hierher gehören ferner die Arbeiten von Ch. Narrey, Dürer ä Venise
et dans les Pays-Bas. Paris 1860. 4°, und G. v. Terey, A. Dürer’s venetianischer
Aufenthalt. Strassburg 1892. 4°.
Paul Kalkoff:
stellen musste. Und doch liegt für die Zeit des ausgehenden XV. und für
das XVI. Jahrhundert ein grosser, noch ungehobener Schatz bereit, der
längst das Entzücken des Kunstfreundes ausmacht, für den Historiker aber
freilich nur auf weiten kritischen Umwegen nutzbar gemacht werden kann:
die vielen unbezeichneten Bildnisse, die, an sich schon sprechend genug,
doch noch weit deutlicher von ihrer Zeit und ihren Urbildern erzählen
würden, wenn es gelänge, die gestörte Beziehung zu jenen wiederherzu-
stellen. Die für diese Forschung angezeigte Methode muss zugleich für
die Biographie des Künstlers sich fruchtbar erweisen: es gilt, genau fest-
zustellen, mit wem er verkehrte, wer ihm als Freund oder Kenner uahe-
trat, wer durch fesselnde Züge seines Wesens ihm den nachschaffenden
Stift in die Hand drückte. Wird auch das Verfahren aus Mangel an
Quellen nicht überall anwendbar sein oder nicht sogleich zu Ergebnissen
führen, die man nett und rund in die Kataloge eintragen kann, so gilt es,
nichts destoweniger Hand anzulegen, die unbekannten Grössen methodisch
zu eliminieren: vielleicht, dass hie und da doch auch das letzte x sich
bewerthen lässt.
In diesem Sinne sollen die nachfolgenden Notizen die werthvolle
Arbeit der Vorgänger auf diesem Gebiete einen Schritt weiter zu fördern
suchen, und zwar bei einem Künstler, dessen reicher schriftlicher Nach-
lass schon lange zur Anwendung der beschriebenen Methode eingeladen
hat. Die jüngsten Arbeiten sind ja bekannt: wir meinen, von den nicht
der Detailforschung gewidmeten Biographieen abgesehen, die Ausgaben
der Briefe und Tagebücher Dürer’s von Thausing, Leitschuh und Fuhse-
Lange1) bei denen man ja die früheren Untersuchungen, von denen be-
sonders die von Verächter und Lochner hervorzuheben sind, angeführt findet.
Ehe ich nun zu dem Hauptgegenstand meiner Untersuchung, dem
Aufenthalt Dürer’s in den Niederlanden und seinem Verhältniss zu den
dortigen reformatorisch denkenden Kreisen gelange, sei es gestattet, einige
Lesefrüchte hier niederzulegen, die, wie sie zum Theil dem guten Glück
verdankt werden, so sich , wohl gelegentlich werden vermehren lassen.
Um der chronologischen Ordnung zu folgen, stehe hier zunächst eine
Anmerkung zu Dürer’s Briefen aus Venedig, deren Personennamen, soweit
sie sich auf Nürnberger Zeitgenossen des Künstlers beziehen, von G. W. K.
Lochner2) sonst mit vielem Fleiss und Erfolg aufgeklärt wurden, nur dass
Moritz Thausing, Dürer’s Briefe, Tagebücher und Reime, Wien bei
W. Braumüller 1892. 8°. (In R. Eitelberger von Edelberg, Quellenschriften für
Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, III. Bd.) Albrecht Dürer’s
Tagebuch der Reise in den Niederlanden, herausgeg. von Friedr. Leitschuh, Leipzig,
bei F. A. Broekhaus 1884. 8°. — Albrecht Dürer’s schriftlicher Nachlass, heraus-
gegeben von K. Lange und F. Fuhse. Halle bei M. Niemeyer 1893. 8°.
3) Personennamen in Dürer’s Briefen aus Venedig. Nürnberg 1870. 8°.
S. 35 ff. Hierher gehören ferner die Arbeiten von Ch. Narrey, Dürer ä Venise
et dans les Pays-Bas. Paris 1860. 4°, und G. v. Terey, A. Dürer’s venetianischer
Aufenthalt. Strassburg 1892. 4°.