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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0019
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i. Bedeutung der armenischen Denkmäler
für die Baukunst der Gegenwart.
Ich kann die rein wissenschaftliche Arbeit nicht beginnen, ohne ein Wort
über die Bedeutung der altarmenischen Bauart für das künstlerische Leben
der Gegenwart voranzuschicken. Um die Augen des heutigen Baukünstlers
auf diese Denkmälergruppe zu lenken, fügte ich schon im Titel hinzu »Guß-
mauerwerk mit Plattenverkleidung«. Davon ausgehend, seien hier einleitend
einige Worte gesagt.
Abbildung i zeigt einen Bau, von dem wiederholt zu reden sein wird.
Scheinbar rund ansetzend, endet er in eine Kuppel, doch ist die ganze Bau-
form heute verschwommen, weil der Körper des äußeren Kleides beraubt
ist. Nur oben an der Fenstertrommel sind noch einige Steinreihen erhalten,
am Ansatz ein Band und unter dem einstigen Dach Bögen. Bei genauerem Zu-
sehen wird deutlich, daß der Bau einst als Steinwerk erschienen sein muß. Die
Wände waren durchaus mit kleinen Platten verkleidet. Ihre Abmessungen
sind noch ganz deutlich an den zwischen ihre Fugen eingequollenen Stegen
der Gußmasse abzulesen. Es dürfte sich wohl um ein Werk handeln, bei dessen
Aufrichtung zuerst die Platten versetzt und dann hintergossen wurden. Das
bestätigt, wie wir sehen werden, auch das Innere. Die Steinplatten spielten
also in der armenischen Bauführung zunächst eine ähnliche Rolle wie die
Bretterverschalungen im heutigen Eisenbetonbau. Eine engere Verbindung
zwischen Gußmasse und Verkleidung, etwa durch schwalbenschwanzförmige
Ansätze oder Nägel, ist nicht hergestellt. Wenn daher die Platten im Laufe der
Jahrhunderte sich loslösten, aus dem Gefüge gerieten und abfielen, so konnte
der Verguß trotzdem unberührt stehen bleiben, wie eben Abbildung i belegt.
Wenn man bedenkt, daß es sich um Platten, nicht um Quadern handelt, so wird die armenische
Bauweise als sehr eigenartig gelten dürfen. Quaderbau mit vergossener Mauermitte ist in Vorder-
asien nicht selten, Gußmauerwerk in Verbindung mit dem Ziegel haben auch die Römer gekannt.
Unsere eigene Zeit macht, seit sie auf die Vorteile des Betonbaues gekommen ist, von der Werkart
des Gießens und Stampfens wieder ausgiebig Gebrauch. Auch die Verkleidung der Wand handhabt
sie in einer der armenischen verwandten Art, insofern sie Ziegel und Beton (soweit sie letzteren
nicht als Kunststein behandelt) mit edleren Baustoffen verblendet. Doch besteht zwischen der Gegen-
wart und dem alten Armenien ein bezeichnender Unterschied. Unsere Baumeister legen immer die
Platte auf die Gußmasse. Die Armenier gingen, wie wir Abbildung i entnahmen, einen eigenen Weg.
Es kann nicht gut anders sein, als daß sie zuerst die Platten in ein oder zwei Reihen aufrichteten und
dann die Füllung, wahrscheinlich schichtenweise, einfügten und stampften. Die Platten erfüllten daher
zuerst den Zweck der Schalung und blieben als Schmuck und Schutz gegen die Witterung stehen.
Ich stelle in Abbildung 2 und 3 zwei Beispiele des Plattenbelages nebeneinander, eines von der
Postsparkasse Otto Wagners in Wien1) und ein anderes vom Dome zu Thalin in Armenien aus dem
7. Jahrhundert2). In beiden Fällen handelt es sich um den oberen Abschluß der Wand. Die Platten
sind gleich sauber gefügt. In Thalin hat man guten Einblick in die Geheimnisse des Verbandes, weil
die Zeit hier den Schleier gelüftet hat. Der Unterschied ist offenbar der, daß man heute die Platte,
im gegebenen Falle Marmor und Glas, wie gesagt, auf das fertige Mauerwerk auf legt, in Armenien
J) Vgl. Näheres in meinem Buche »Die bildende Kunst der Gegenwart«, S. 25.
2) Vgl. meinen Aufsatz, »Der Ursprung des trikonchen Kirchenbaues«, Zeitschrift für christliche Kunst, XXVIII (1916), S. 185 f.


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