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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0205
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ERSTES BUCH: DIE DENKMÄLER

3. Kuppelhallen (Abb. 54).
Die endgültige Lösung der Spannung zwischen dem rein künstlerischen Drängen des Kuppel-
baues nach dem strahlenförmigen Grundriß mit beherrschender Mitte der Höhe nach und der kirch-
lichen Forderung der Längsrichtung fand die armenische Kunst in der Bauform der Kuppelhalle.
Ich stelle sie an den Schluß schon deshalb, weil sie bis auf den heutigen Tag in Gebrauch ist und
gesagt werden kann, daß sich die armenische Kirche bei ihr dauernd befriedigte. Ich führe für
diese Gattung den Begriff »Halle« ein, weil der Innenraum durchaus den Eindruck eines großen,
einheitlichen Raumes, eines Saales oder einer Halle für Versammlungen macht ’). Im Armenischen
nennt man einen solchen Raum vielleicht »Dadschar«2).
Die »Kuppelhalle« stellt einen in drei Abschnitten von Westen nach Osten angeordneten ein-
heitlichen Längsraum dar, dessen Mitte die Kuppel krönt. Nie sitzt diese wie im Abendlande vor
der Apsis. Die Halle erscheint einschiffig, weil die vier Kuppelpfeiler sich nicht von den Seiten-
wänden loslösen, sondern lediglich aus ihnen vortreten. Es fällt auf, daß die in dieser Gattung denk-
bar einfachste Form, bei der die Gewölbe unmittelbar auf den Umfassungsmauern ruhen würden, die
Kuppel über der Mitte, eine gleich breite Tonne über dem West- und Ostteil, nicht nachweisbar ist.
Eine solche Bauform wäre möglich, weil ja die Kuppel auf Gurtbogen gelegt werden kann, die bei
entsprechender Stärke der Umfassungsmauern, keiner oder einer außen ansetzenden Verstärkung
bedürften. Nach letzterem Grundsatz ist die Gotik, freilich ohne Heranziehung der Kuppel, verfahren.
Daß dergleichen Lösungen in der altarmenischen Baukunst fehlen, wird später im entwicklungs-
geschichtlichen Zusammenhänge zu verwerten sein. Wenn die Kuppel ohne in das Schiff vortretende
Verstrebung auf einen einschiffigen Raum gelegt wird, so geschieht dies mit Hülfe von Strebe-
nischen. Es entstehen dann die Dreipaßbauten, von denen oben Seite 159 f. die Rede war. Bei der
Kuppelhalle erscheint das Langhaus über die Breite der Kuppel hinaus erweitert durch drei hinter
einander liegende Quertonnen, wie Abbildung 14 rechts deutlich macht. Es sind also eigentlich
einschiffige Bauten, deren Seitenwände — weit und räumlich vollkommen klar überblickbar — in
großen flachen Nischen zurücktreten. Dadurch entsteht eine Einheitlichkeit der Raumform, die
diesen Bauten eine bedeutende Wirkung sichert. Sie bilden die Hauptform der armenischen Bau-
kunst, die gleich in dem ältesten erhaltenen Beispiele, Thalisch von 668, in einer Großartigkeit
auftritt, die den Vergleich mit den mächtigen Kathedralen des Abendlandes und den Barockbauten
vom Typus des Gesü im Besonderen aushält.
Auch hier können auf Grund der Ausstattung Gattungen geschieden werden, je nachdem die
Wände ohne jede Gliederung durch Dreieckschlitze bleiben — solche hätten nur an der Ostseite
zur Andeutung der tatsächlich vorhandenen drei Apsiden Berechtigung — oder diese Nischen auf
allen vier Seiten oder auf dreien (unter Ausschluß der Westseite) vorkommen. Ich stelle die Bau-
formen ohne Dreiecknischen voran; sie stehen den längsgerichteten Tonnenbauten am nächsten.
Die Dreieckschlitze sind wohl von Typen wie dem der Hripsime oder den reinen Konchenbauten
herüber genommen, bei denen sie die innen runden Strebenischen im geschlossenen Baukristall
außen eckig kennzeichnen sollten. Ihre Anwendung bei den Kuppelhallen bezeugt die weit vor
dem 7. Jahrhundert liegende Entwicklung der Konchenbauten, denn schon im 7. Jahrhundert lassen
sich Kuppelhallen und Dreiecknischen (an der Ostseite Thalisch) nachweisen, die allmählich als Zier-
form um so höher geschätzt worden sein müssen, als sie schon im 9. Jahrhundert (Schirakawan) an
einer sehr heikligen Stelle angebracht erscheinen. Schließlich werden auch am Äußern der Kuppel-
hallen Trichternischen und Blendbogen neben einander verwendet (Marmaschen).
A. Ohne Dreieckschlitze.
Wagharschapat, Schoghakathkirche. Wir haben unter diesem Namen bereits die Grundmauern einer
kleinen Kapelle in der Gruppe der einschiffigen Tonnenbauten aufgeführt (Abb. 153). Die Haupt-
kirche dieses Namens liegt einige Schritte nordöstlich davon und steht vollständig aufrecht3). Trotz-
x) Vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 3. Aufl., S. 121.
2) Vgl. Stephan von Taron II, 2 (Gelzer-B. S. 67) und sonst.
3) Über dem Namen Schoghakath vgl. Marr, »Zapisld der östlichen Abteilung der kaiserlich russischen archäologischen Ge-
sellschaft« XIX (1909) S. 53 f. So hieß eine Zeitlang auch die Kathogikhe von Wagharschapat, Edschmiatsin selbst.
 
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