Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0222
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die armenische Baukunst frühchristlicher Zeit, wie sie
eben vorgeführt wurde, bietet durchaus das Bild geschlosse-
ner Einheit, gepaart mit einem Reichtum der Bauformen, der
— dürfte sich zeigen — vorübergehend von Süden und Westen
her beeinflußt, gerade durch die Abwehr dieser Versuche
den Eindruck kräftigen und volkstümlich selbständigen
Lebens hinterläßt. Die handwerklichen Mittel, mit denen
gearbeitet wird, bleiben sich zwar immer gleich, aber ihre
Anwendung im Dienste geistigen Schaffens wechselt derart,
daß ein lebhaftes Verlangen platzgreift, Wesen, Ursprung
und Triebkräfte dieser eigenartigen Baurichtung festzu-
stellen, auch wenn dafür kein wissenschaftlicher Zwang vor-
läge. Der nachfolgende Versuch soll mehr eine Anregung
als eine Lösung bedeuten. Sich bequem solchen Frage-
stellungen entziehen oder sie anderen zuliebe abwartend
zurückschieben, heißt — wie ich von Ägypten her weiß —
sie nie erleben, ja nachher um dieser Unterlassungssünde
willen zusehen müssen, wie Anfänger die Dinge in vor-
gefaßten Schulmeinungen auf den Kopf stellen. Es ist
freilich üblich, daß sich wissenschaftliche Fachinstitute auf
die Vorlage des Materials beschränken. Das meiner Lehr-
kanzel angegliederte Institut kann das schon deshalb nicht tun, weil ihm keine Mittel zur Verfügung
stehen. Es verfügte vor dem Kriege lediglich über eine Dotation für Unterrichtserfordernisse (1800 K
jährlich). Was ich im Typenkataloge bieten konnte, ist mit großen, von allen Seiten gebrachten
persönlichen Opfern durchgesetzt und darf nicht so gewertet werden, wie wenn die Vorlage der
Denkmäler bei ausreichenden Mitteln vorgenommen worden wäre. Schon deshalb muß ich den
Nachdruck auf die wissenschaftliche Bearbeitung legen !) und es anderen, so vor allem Thoramanian
überlassen, die Denkmäler selbst genauer als ich es konnte, vorzulegen. In der Bearbeitung aber
möchte ich das Beste bieten, was mir zu leisten nach vieljähriger Arbeit möglich ist2).
Jedes Wesen bedeutet bei voller Kraft und Reife Einheit. An sich untrennbar, ist es der wissen-
schaftlichen Forschung d. h. planmäßig geregeltem Denken nur zugänglich auf Grund einer Ein-
teilung, die den verschiedenen Seiten dieses Wesens gerecht zu werden sucht, indem es diese
auseinanderhält. Ebensowenig wie der Naturforscher die Einheit des Lebewesens auflösen kann und
will, so wenig kann es der Forscher beim Werke der Natur aus Menschenhand, der bildenden
Kunst. Wo bei solcher Zerlegung nichts übrig bleibt, da liegt schwerlich etwas Großes vor, da ist
der »Künstler« ein unfreier Mensch gewesen, den nichts über das Handwerk und die sachliche
Gebundenheit hinaus zur Form drängte.
Die altchristliche Kunst der Armenier ist nicht so leicht zu verstehen, wie scheinbar Kunst-
richtungen, die «darstellen«. Ganz Baukunst, will sie aus Zeichen ergründet sein, die keine dem
Alltag geläufige Sprache reden. Man kann sagen, sie trete uns im 7. Jahrhundert in einer Form-
vollendung entgegen, die der des dorischen Tempels gleichkommt. Dort aber wird das bauliche
Bild durch die Darstellung des Menschen ergänzt und so ein Schlüssel geboten. In der armenischen
Kunst aber fehlt die »Darstellung«; sie gleicht darin, wie sich zeigen wird, ursprünglich ganz der
-1) Das Institut bat Bd. III, die Funde von Grünwedel, Le Coq und Pelliot in Mittelasien, in Bd. VI diejenigen der
amerikanischen Forschungsreisen nach Syrien in ähnlicher Art zu bearbeiten gesucht. Vgl. Mitt. d. geogr. Ges. inWien 6l (1918), S. 20 f.
2) In welchem Lichte man dieses Bemühen z. B. in Wien gern dargestellt sieht, entnehme man einer Besprechung meiner
letzten Arbeiten in »Die graphischen Künste« XL (1917), Mitteilungen, S. 36 f. Dazu Monatshefte f. Kunstwiss. IX (1918), S. 101 f.
 
Annotationen