Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0224
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
STOFF UND WERK

207

I. Stoff und Werk.
Die Werte, die für das Handwerk den Ausschlag geben, sind die das Schaffen und Können
bestimmenden Voraussetzungen von Material und Technik. Ich verwende dafür die guten deutschen
Bezeichnungen »Baustoff« und »Werk«. Beide sind in der armenischen Kunst eigenartig und von
ausschlaggebender Bedeutung. Zugleich aber sind Baustoff und Verarbeitung zwei Werte, die
getrennt behandelt werden müssen. Der griechische Tempel zeigt in den Orthostaten, scheint es,
einen deutlichen Rückstand der Zeit, in der noch nicht der reine Steinbau üblich war. Ähnlich
könnten in der armenischen Baukunst Überreste entwicklungsgeschichtlicher Natur vorliegen, die
nur bei einem klaren Auseinanderhalten von Baustoff und Werk zu Tage kommen.
A. Baustoff.
Es bestehen darüber falsche Vorstellungen. So ist besonders beliebt die Meinung, daß die
armenischen Bauten reine Steinbauten seien. Schnaase z. B. sagt III, Seite 327, die alten Kirchen
seien überwiegend in Haustein ausgeführt und erwähnt nie, daß es sich um Gußmauerwerk mit
Plattenverkleidung handelt. Diehl hat erst 1910 wieder gläubig seine Quellen Überboten1): »Les con-
structeurs armöniens, en effet, ont öte des techniciens incomparablement habiles. Vivant dans un pays
oü la pierre domine, ils ont developpe la stereotomie avec une singuliere adresse . . . Enfin dans
la technique, on constate l’emploi exclusif de la pierre de taille.« Im Gegensatz zu diesem Lob hat
Schnaase, der das Land ebensowenig aus eigener Anschauung kannte wie Diehl in seiner zusammen-
fassenden Einleitung Seite 330 behauptet: Übrigens haben die Mauern niemals die Solidität
europäischer Konstruktion, die Steine sind unregelmäßig behauen, so daß die Fugen nicht fest sind,
und nur dem Mangel des Holzes verdanken diese Kirchen ihre lange Erhaltung.« Der Vergleich
mit dem reinen Steinbau ist nicht am Platze. Immer wieder wird verschwiegen, daß es sich um
Verblendung, nicht wie in der ägyptischen und griechischen Kunst um reinen Steinbau handelt.
Die Folge der schon in der Einleitung Seite 1 f. gemachten Feststellung ist, daß in der Frage des
Baustoffes unterschieden werden muß zwischen der eigentlichen Mauermasse und der ihr außen und
innen vorgeblendeten Wand. Ich behandle zunächst jenen Baustoff, der für die Verkleidung oder
Verblendung, besser noch eigentlich Schalung, herangezogen ist.
a) Verblendung in Lawa und Tuff.
Die Bauten bilden trotz ihrer Zusammensetzung aus zweierlei Baustoff eine so fest verbundene
Masse, daß man versteht, wie man sie nach ihrer Außenerscheinung als reine Steinbauten nehmen
konnte. Freilich, wer den Fuß in das Land selbst gesetzt hat, wird diesem Irrtum nicht verfallen
können. Aller Orten stehen Bauten im verfallenen Zustande, bei denen Gußmauerwerk und Platten-
verblendung sofort ins Auge fallen. Zwei Abbildungen: 244, die Hirtenkirche in Ani, und 245 Tailar2),
mögen das schon oben Seite 1 f. gegebene Bild vervollständigen und im besonderen zeigen, wie
starr verbunden die Baustoffe sind; selbst die völlige Unterhöhlung konnte das Werk nicht zu
Falle bringen. Ich gehe zunächst auf die Plattenverkleidung ein.
Dazu bemerkt H. Glück: »Das Vorhandensein und die Art der Baumaterialien, die ein Land
bieten kann, sind die Hauptfaktoren für die Gestaltung der architektonischen Formen. So sind zwei
Umstände für das armenische Hochland in dieser Beziehung von größter Bedeutung: Armenien ist
A) Diehl, »Manuel d’art byzantin«, S. 315 und 441 f.
2) Entstanden 1198 (?) oder früher.
 
Annotationen