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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0346
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ERSCHEINUNG

329

Unterlage, wie etwa der griechische
Tempel aus dem nordischen Holzhaus
entsteht und Gestalten des altorientali-
schen Steinbaues zum Schmuck über-
nimmt, liegt hier kaum vor. Das arme-
nische Haus (S. 262) hat gar nicht die
Form der Kirchen, weder der längs-
gewölbten, noch der Kuppelbauten1).
Die armenische Architektur ist vielmehr
in einigen entscheidenden Grundformen
übernommen, im wesentlichen, wie sich
zeigen wird, aus dem Nordiranischen;
doch machen sich auch syrische und
griechisch - mesopotamische Einflüsse
geltend. Danach treffe ich die Unterein-
teilung der nächsten Abschnitte.


Abb. 376. Tekor, Sargiskirche: Apsis.

Erscheinung: Ursprung der Bauformen.
Die Kunstgeschichte bleibt gern beim beschreibenden Teil ihrer Arbeit stehen. Für den
Forscher beginnt erst hier die eigentliche Aufgabe. Bot der erste Teil des Erscheinungsproblems
eine Zusammenstellung, wie sie in den Stilgeschichten üblich ist, so gehe ich nun dazu über, die
aufgewiesene Erscheinung auf die Möglichkeiten ihres Ursprunges hin anzusehen. Das soll im Wege
des Vergleiches geschehen, zunächst ohne Geltendmachung von Gründen geschichtlicher Art. Erst
der später zu unternehmende Versuch, die Geschichte der armenischen Baukunst zu geben, wird zu
untersuchen haben, ob die aufgewiesenen Möglichkeiten auch im einzelnen Falle und im Ganzen
als die wahrscheinlichen gelten können. Ich darf nicht Kunstgeschichte auf Grund der zur Zeit
herrschenden allgemeinen Geschichtsvorstellungen machen, sondern muß unabhängig von Schul-
meinungen die Wege des Faches gehen, um dann selbständig im Rahmen der Geschichte Stellung
nehmen zu können. Entwicklungsgeschichte ist Wesensforschung und baut zunächst auf Annahmen;
aus ihren Ergebnissen kann erst durch Vergleich mit allen andern Lebenswesenheiten Geschichte
gemacht werden. Die bildende Kunst ist ein Wegweiser wie kein zweiter, solange man von den
Denkmälern ausgeht und sie nicht bestehenden Meinungen unterordnet. Nachfolgend wird lediglich
die Kenntnis der Zeitstellung der einzelnen armenischen Kirchen, wie sie im Typenkataloge vor-
geführt wurden, vorausgesetzt. Sie gehören fast alle vor das Jahr 1100 und schließen sich, wie es
scheint, zu zwei Blütezeiten zusammen: einer ersten im 7. Jahrhundert und einer zweiten um 1000.
Freilich geht diesem Blühen, das heute noch durch inschriftlich beglaubigte Denkmäler zu belegen
ist, eine Werdezeit, das 4.—6. Jahrhundert, voraus. Mit dieser aber können wir uns erst, da sie ver-
sunken ist und aus dem Erhaltenen erschlossen werden muß, später im geschichtlichen Teile be-
schäftigen. Hier sollen nur die den erhaltenen armenischen Kirchen vorausliegenden einheimischen
oder entsprechende Parallelen anderer Kunstkreise herangezogen werden, um erwägen zu können,
ob die armenische Bauerscheinung an andere Kunstströme anschließt. Das geschieht in dem Ab-
schnitte über die Gestalt. Die selbständige Weiterbildung soll dann in dem Abschnitte über die
Form verfolgt werden. Die Scheidung dieser beiden Arten der Erscheinung erfordert also ein ge-
naueres Eingehen auf die Ursprungsfragen. Eine Beurteilung der künstlerischen Tat eines Volkes
ohne diese Scheidung ist unwissenschaftlich. Trotzdem ist sie planmäßig bisher für keinen der be-
kannten Kunstströme unternommen worden. Davon im vierten Buche.
Vgl. Ter-Mowsessian, »Das armenische Bauernhaus«, Mitt. d. Anthropologischen Gesellschaft in Wien, N. F. XII (1892), S. 125 f.
 
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