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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0223
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206

ZWEITES BUCH: WESEN

islamischen Kunst, freilich mit einem wesentlichen Unterschiede: ■•Wenn die islamische Kunst vor-
wiegend als »Zierkunst« gelten kann, so ist die armenische vor allem und am Anfang geradezu
ausschließlich »Baukunst«. Dadurch, daß ihr ein gern menschenähnlich gedeutetes Gebilde wie die
Säule fehlt, verführt nichts an ihrer Deutung zu den beliebten Beschauerirrwegen der Ästhetik.
Einem Kunstwerke ist wissenschaftlich nur beizukommen dadurch, daß man sich bemüht, sein
Wesen nicht nur aus sich selbst heraus festzustellen, sondern es zugleich durch Vergleich tiefer zu
erfassen und dann Werden und Wirken auf geschichtlichem Wege zu erkennen. Ich lasse daher in
dem Bemühen, die vorgeführten Tatsachen nutzbar zu machen, mit der Wesensforschung Hand in
Hand den Vergleich gehen. Ein späterer Abschnitt wird dann aus den aufgewiesenen Möglich-
keiten die tatsächlichen Zusammenhänge geschichtlich zu begründen suchen und zum Schlüsse der
Ausbreitung nachgehen.
Bei Durchführung der Wesensuntersuchung halte ich mich an eine Einteilung, die in den
letzten Jahren wiederholt Gegenstand der Vorführung war. Ich verweise u. a. auf die grundsätzliche
Auseinandersetzung in dem Aufsätze »Der Wandel der Kunstforschung« in der Zeitschrift für
bildende Kunst, L (1914/5), Seite 3 f. und »Altai-Iran«, Seite 302 f, für die schulmäßige Anwendung
auf das Werk von Potpeschnigg »Einführung in die Betrachtung von Werken der bildenden Kunst«,
Wien 1915 x). Der Plan, den man gut tut, sich für die Sonderung der verschiedenen Problemreihen
einzuprägen, ist folgender:

Handwerk
I. Stoff und Werk
Geistige Werte
Welt
Erreger: Schaffen
Ziel: Können
Bedeutung
Erscheinung
'TT
Sachliche
II. (Sache) Gegenstand
III. Gestalt
4-*
cn
Gebundenheit
Erreger: Geistiger Zustand
Erreger: (Zeichen) Natur
ö
Ziel: (Zweck) Deutung
Ziel: (Verständigung) Darstellung
Q

Persönliche
V. Inhalt
IV. Form
<V
Freiheit
Erreger: Seele
Erreger: Sinne
Ziel: Ausdruck
Ziel: Wirkung

Ich habe die Reihenfolge meiner Untersuchungen durch die in den Plan eingedruckten Zahlen ange-
deutet. Sie geht auf Erfahrung zurück2).
Handwerk.
Dieser Abschnitt muß leider infolge des Krieges ohne jene eingehenden Untersuchungen an
Ort und Stelle erscheinen, wie sie geplant waren. Wäre der Krieg nicht, dann hätte schon in diesem
einführenden Werke Thoramanian diesen Abschnitt aus seiner reichen Erfahrung heraus geschrieben.
Ich bin lediglich auf das angewiesen, was ich selbst 1889 und dann 1913 ohne die Absicht genauerer
Erforschung auf dem handwerklichen Gebiete beobachtet habe. Schließlich ist diese Art Arbeit
Sache technischer Fachleute, die ja wohl nicht säumen werden, sich über die für den Betonbau der
Gegenwart so überaus wichtige Bauweise Armeniens bald auf den Laufenden zu setzen (vgl. oben, S. 3 f.).
Der Stand des Handwerkes war und ist in Armenien ein hoher. Die Armenier genießen heute
noch im ganzen Orient als Kuppelbauer den Vorzug. Das scheint in noch weiterem Umfange für
die Zeit der Völkerwanderung gegolten zu haben, für die das vorliegende Werk wahrscheinlich zu
machen suchen wird, daß die Armenier damals ähnlich als Baumeister und Bauhandwerker im Ge-
biete des Mittelmeeres bis nach Frankreich herüber begehrt wurden wie nach ihnen die Lombarden
bis nach Deutschland, Frankreich und England hin.
*) Arbeiten des Kunsthistor. Instituts der Universität Wien (Lehrkanzel Strzygowski), Bd. II.
2) Für die Anwendung auf die Dichtkunst vgl. Potpeschnigg, Planmäßige Wesensforschung in der Dichtkunst. Jahrbücher
für das klass. Altertum 1917, II. Bd. XL. S. 209 f.
 
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