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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0074
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DIE ZEITSTELLUNG DER ÄLTESTEN DENKMÄLER ARMENIENS

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Die Inschrift, die in 21 Zeilen die Vollendung der von König Smbat II. (974 bis 989) begonnenen
Kathoghike von Ani durch die Königin Katramide im Jahre 1001 meldet, befindet sich auf der
Südseite neben einer Sonnenuhr1). Sie lautet in deutscher Übersetzung:
»450 der Armenier. 219 der Römer (Ligaturen).
In den Zeiten des gottgeehrten und geistlichen Herrn Sargis, Katholikos der Armenier, und
der glorreichen Regierung Gagiks, Schachinschach der Armenier und Georgier, ich Katramide,
Königin der Armenier, Tochter Wasaks, des Siunikkönigs, nahm zu Gottes Erbarmen Zuflucht und baute
auf Befehl meines Gatten Gagik, des Schachinschach, diese hl. Kathoghike, deren Grund der große
Smbat gelegt hatte und wir errichteten das Haus Gottes (als) neue und lebendige geistliche Geburt
und (als) ewiges Denkmal verzierte ich sie auch mit kostbarem Schmuck, (als) Gabe für mich an
Christus und für mein Geschlecht und meine Söhne Smbat, Abas und Aschot.
Ich, Ter-Sargis, habe den Dienern der Kirche befohlen, nach dem Hingange der frommen
Königin ihr Andenken während der fünfzig Tage nach (dem Feste) der Verklärung vierzig Tage
hindurch ohne Unterlaß bis zur Wiederkunft Christi zu feiern. Wenn jemand, was hier geschrieben
steht, vernachlässigt, sei er von Christus verdammt.
6433 Jahre nach Adam, im Jahre 1012 der Fleischwerdung des Gotteswortes, im Jahre 711 des Chris-
tusglaubens der Armenier wurde diese Denkschrift geschrieben durch meine Hand... (Ligatur: Bene?«2)
Es liegt gar kein Grund vor, diese zur Zeit Gagiks (989—1020) und des Katholikos Sargis
(992—1019) einige Zeit nach der Vollendung des Baues geschriebene Inschrift anzuzweifeln. Auch
die außer dem Jahre der Vollendung 450 (1001—1002) und der Schriftsetzung 1010 f. angegebenen
Daten stimmen mit diesen Jahren überein. Vor allem stammt die Schrift ihrem paläographischen Charakter
nach nicht erst aus dem 13. oder 14. Jahrhundert, wie Schnaase und Kondakov annehmen, sondern
nach dem Urteil der sachverständigen Mechitaristen in Wien wahrscheinlich aus der angegebenen
Abfassungszeit. Dazu kommt aber überdies, daß die Angaben der Inschrift wörtlich geradezu
bestätigt werden durch den gleichzeitig lebenden Historiker Stephan von Taron, der uns auch den
Namen des Architekten Trdat nennt. Ich werde davon unten bei Besprechung dieses Meisters aus-
führlich zu reden haben. Es wird also wohl nichts übrig bleiben, als die Echtheit der Gründungs-
inschrift und damit anzuerkennen, daß die Armenier etwa anderthalb Jahrhunderte früher in gotischer
Art gebaut haben als das Abendland. Davon am Schlüsse des Buches. Hier sei nur kurz bemerkt,
wie nach den Untersuchungen der vorliegenden Arbeit nicht der geringste Zweifel daran möglich
ist, daß die Entwicklung der armenischen Baukunst den Bau der Kathedrale von Ani um das
Jahr 1000 fordert. Schnaase ist noch zu entschuldigen, weil er glaubte, aus Dubois und Texier
entnehmen zu müssen, daß die Formen der Kathedrale von Ani in anderen armenischen Bauten nicht
vorkämen. Millet, Seite 300 und 155 f., setzt die wichtigsten Denkmäler des 10. und 11. Jahrhunderts
daraufhin ins 13. Jahrhundert zurück, z. B. Marmaschen, einen der bestbeglaubigten Bauten aus
der Zeit um 1000, ähnlich die Greg'orkirche in Ketscharus.
Vgl. Brosset, »Ruines d’Ani«, Tafel XLII. Ebenda französischer Text, S. 23 f. Bull, de l’Academie, de St.-Petersbourg,
I, S. 400, Alischan, »Schirak«, S. 67 f.
2) Vielleicht Benik, ein Name, der als Mönchsname vorkommt. Über die in dieser Inschrift gebrauchten Daten teilt mir
P. N. Akinian mit:
1. Das am Anfänge erwähnte Datum »45° der Armenier« ist nach der bekannten armenischen Aera (Ausgangspunkt 551,
12. Juli gerechnet und gibt das Jahr 1001, 21. März— 1002, 20. März. Es kann auch 459 (— 1010) gemeint sein, wenn der folgende
Buchstabe th für eine Jahreszahl und nicht für Verkürzung von thwin, »der Aera« gehalten wird, wie dies Kostaniantz annimmt
(Corpus, p. 13), was aber unrichtig scheint (vgl. Alischan, a. a. O,) nach der folgenden Aera.
2. Unter der »römischen Aera« verstehen die Armenier eine Zeitrechnung, die von der Feier des tausendjährigen Bestehens
der Stadt Rom (21. April 248) ausgeht und mit dem 532jährigen Osterzyklus in der Weise verknüpft wird, daß nach dessen
Ablauf eine neue Zählung beginnt; in unserem Falle wäre daher das Jahr 780 Ausgangspunkt. Da wir aber auf diese Weise
mit »219 der Römer« auf 998/99 statt auf 1001/02 kämen, so dürfte hier der Ausgangspunkt 3 Jahre später (also 783) angenommen sein.
3. Für die Weltaera »6433 Jahre nach Adam« ist das Jahr 5420 als Ausgangspunkt angenommen nach dem Chronisten An-
dreas, das bei manchen zwischen 5420—25 beweglich ist (vgl. Dulaurier, a. a. O. p. 290, 299 u. s. w.). Hier ist ungefähr das Jahr
1013 n. Chr. gemeint.
4. »Im Jahre 1012 der Fleischwerdung Christi«. Gewöhnlich rechnen die Armenier die christliche Aera um 2 Jahre früher
als die von uns angenommene Rechnung, so daß hier unter 1012, lieber ioio/ii zu verstehen ist.
5. »Im Jahre 711 des Christusglaubens der Armenier«. Der Ausgangspunkt ist gewöhnlich das Jahr 304 (vgl. Dulaurier,
p. 290), oder 301 (vgl. Tschamtschian, Geschichte, III, Anhang, S. 2) beweglich zwischen 301—3O41 Hier haben wir wieder ungefähr
das Jahr 1012/15.
 
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