der Unterschied zwischen Ihnen und den
übrigen 999 deutschen Kritikern: darin, dass
die meisten noch heute genau so gottes-
lästerlich schimpfen wie damals. Sie haben
für Herrn Kiepenheuer immerhin den Vor-
zug, dass Sie heute „mitmachen". Einige
freilich tun sich viel darauf zu gute, dass
Sie damals schon mitgegangen sind. Aber
Gottes ausgleichende Gerechtigkeit sorgte
dafür, dass diese Einigen frühzeitig alterten.
Sie gehen heute nicht mehr mit. Wo soll
also Herr Kiepenheuer einen Ersatz für
Sie hernehmen? Kennen Sie einen, der
Steine auf Sie werfen darf? Wenn ich durch-
lese, was diese 999 damals über den Ersten
Deutschen Herbstsalon geschrieben haben,
dann kommt es mir vor, als hätten Sie es
in der Beschimpfung des Grossen und Ge-
waltigen nicht am tollsten getrieben. Und
vielleicht ist es für Sie eine Art von Trost,
nochmals zu lesen, was diese 999 Kritiker
sich damals selbst zugemutet haben. Nur
eine Art von Trost. Denn vielleicht glauben
Sie mir gar nicht. Vielleicht halten Sie diese
Kritiken für die Erzeugnisse eines einzigen,
ganz sonderbar konstruierten Gehirns. Sie
haben beinahe recht.
Ach, Herr Westheim, was für ein schlechter
und ungeschickter Gegner sind Sie doch!
Ich hatte Sie aufgefordert, in meiner Ver-
gangenheit herumzuwühlen, bis Sie ein Er-
eignis entdecken, das Sie einen „Fall" nennen
könnten. Statt dessen tratschen Sie im Ok-
toberheft des Kunstblatts das Geschwätz
einiger^ gewohnheitsmässiger Verleumder
nach, das diesen wiederum von einigen
anderen Verleumdern nicht hinterbracht
worden ist, sondern,hinterbracht sein soll.
Sie sind ein zu spassiger Herr, ich werfe
Ihnen Unfähigkeit und Unwürdigkeit vor,
und Sie schreiben, Herr Waiden habe sil-
berne Löffel'gestohlen. Auf solche falsche
Wege der Verteidigung fährt Sie nur Ihre
Ungeduld. Ich beschwöre Sie noch einmal,
seien Sie geduldig. Sie werden auf alles
die gewünschte Antwort erhalten, auf Ihre
Torheiten und auf Ihre Unwahrheiten. Es gibt
nichts in Ihrem Artikel, das ich nicht mit
Dokumenten widerlegen werde. Aber Ge-
duld müssen Sie haben. Ich kann nicht
alles auf einmal veröffentlichen. Nur über
das Gröbste will ich Sie eiligst belehren. Alle
Verdächtigungen über Nicht-Auszahlungen
an In- und Ausländer bitte ich Sie, an mich
persönlich zu richten. Nur ich, ich allein
bin für die von Ihnen so sehnlichst ge-
wünschten Delikte verantwortlich, mora-
lisch, ethisch und vor allem rechtlich. Nur
ich weiss, was ich zu tun verpflichtet bin,
nicht Sie. Denn Sie wissen nicht, was
Pflicht ist. Und bedenken Sie, dass Sie
schon einmal eine ähnliche Unwahrheit
wie jetzt die gegenüber Chagall behaupteten,
haben zurücknehmen müssen, nachdem Sie
sich überzeugt hatten, dass Sie von ihren
geschwätzigen Gewährsmännern belogen
waren. Es wird Ihnen mit Ihren neuen
frivolenVerdächtigungen nicht anders gehen.
Denn, wenn auch Ludwig Rubiner nicht
mehr lebt, so lebt doch seine Frau noch.
Und Sie wird Ihnen gern bestätigen, dass
Sie Worte und Sätze genau so falsch hören,
wie Sie Bilder sehen. Leider fürchte ich,
wenn ich einmal zu Ihrem ,,Fall Chagall"
vorgedrungen bin, wird Ihnen Hören und
Sehen längst vollkommen vergangen sein.
Darum will ich mich doch beeilen, Ihnen
eine Ahnung davon zu verschaffen, wie
Ludwig Rubiner über Herwarth Waiden
dachte. Er hat während des Krieges einen
einzigen Brief aus der Schweiz an Herwarth
Waiden gerichtet. Dieser Brief aber geht
in einer ganz anderen Melodie und lautet so:
25. Februar 1917 Zürich, Hadlaub 11
„Herwarth Waldens „Buch der Menschen-
liebe" leitet eine neue Epoche der Litera-
tur ein.
Ich kenne in keiner Sprache einen lebenden
oder toten Zeitgenossen, der etwas (auch nur
annähernd!) so Bedeutendes veröffentlicht
hätte. ^
Dieser Roman hat mir die tiefsten brüder-
lichen Glücksmomente gebracht — und
wird sie noch vielen Menschen bringen —
die Gedrucktes überhaupt erwecken kann.
Nach hundert Jahren wird von allen
Büchern zwischen 1880 und 1916 nur das
„Buch der Menschenliebe" geblieben sein.
Und es wird ungealtert mit herrlichster Auf-
wühlung gelesen werden.
Es ist ein wirkliches Buch der Menschen-
liebe."
Ludwig Rubiner
Das klingt iatal! Nicht wahr, Herr West-
heim? Das wird einigen Teufeln gar nicht
in das Konzept passen. Die Toten reden.
131
übrigen 999 deutschen Kritikern: darin, dass
die meisten noch heute genau so gottes-
lästerlich schimpfen wie damals. Sie haben
für Herrn Kiepenheuer immerhin den Vor-
zug, dass Sie heute „mitmachen". Einige
freilich tun sich viel darauf zu gute, dass
Sie damals schon mitgegangen sind. Aber
Gottes ausgleichende Gerechtigkeit sorgte
dafür, dass diese Einigen frühzeitig alterten.
Sie gehen heute nicht mehr mit. Wo soll
also Herr Kiepenheuer einen Ersatz für
Sie hernehmen? Kennen Sie einen, der
Steine auf Sie werfen darf? Wenn ich durch-
lese, was diese 999 damals über den Ersten
Deutschen Herbstsalon geschrieben haben,
dann kommt es mir vor, als hätten Sie es
in der Beschimpfung des Grossen und Ge-
waltigen nicht am tollsten getrieben. Und
vielleicht ist es für Sie eine Art von Trost,
nochmals zu lesen, was diese 999 Kritiker
sich damals selbst zugemutet haben. Nur
eine Art von Trost. Denn vielleicht glauben
Sie mir gar nicht. Vielleicht halten Sie diese
Kritiken für die Erzeugnisse eines einzigen,
ganz sonderbar konstruierten Gehirns. Sie
haben beinahe recht.
Ach, Herr Westheim, was für ein schlechter
und ungeschickter Gegner sind Sie doch!
Ich hatte Sie aufgefordert, in meiner Ver-
gangenheit herumzuwühlen, bis Sie ein Er-
eignis entdecken, das Sie einen „Fall" nennen
könnten. Statt dessen tratschen Sie im Ok-
toberheft des Kunstblatts das Geschwätz
einiger^ gewohnheitsmässiger Verleumder
nach, das diesen wiederum von einigen
anderen Verleumdern nicht hinterbracht
worden ist, sondern,hinterbracht sein soll.
Sie sind ein zu spassiger Herr, ich werfe
Ihnen Unfähigkeit und Unwürdigkeit vor,
und Sie schreiben, Herr Waiden habe sil-
berne Löffel'gestohlen. Auf solche falsche
Wege der Verteidigung fährt Sie nur Ihre
Ungeduld. Ich beschwöre Sie noch einmal,
seien Sie geduldig. Sie werden auf alles
die gewünschte Antwort erhalten, auf Ihre
Torheiten und auf Ihre Unwahrheiten. Es gibt
nichts in Ihrem Artikel, das ich nicht mit
Dokumenten widerlegen werde. Aber Ge-
duld müssen Sie haben. Ich kann nicht
alles auf einmal veröffentlichen. Nur über
das Gröbste will ich Sie eiligst belehren. Alle
Verdächtigungen über Nicht-Auszahlungen
an In- und Ausländer bitte ich Sie, an mich
persönlich zu richten. Nur ich, ich allein
bin für die von Ihnen so sehnlichst ge-
wünschten Delikte verantwortlich, mora-
lisch, ethisch und vor allem rechtlich. Nur
ich weiss, was ich zu tun verpflichtet bin,
nicht Sie. Denn Sie wissen nicht, was
Pflicht ist. Und bedenken Sie, dass Sie
schon einmal eine ähnliche Unwahrheit
wie jetzt die gegenüber Chagall behaupteten,
haben zurücknehmen müssen, nachdem Sie
sich überzeugt hatten, dass Sie von ihren
geschwätzigen Gewährsmännern belogen
waren. Es wird Ihnen mit Ihren neuen
frivolenVerdächtigungen nicht anders gehen.
Denn, wenn auch Ludwig Rubiner nicht
mehr lebt, so lebt doch seine Frau noch.
Und Sie wird Ihnen gern bestätigen, dass
Sie Worte und Sätze genau so falsch hören,
wie Sie Bilder sehen. Leider fürchte ich,
wenn ich einmal zu Ihrem ,,Fall Chagall"
vorgedrungen bin, wird Ihnen Hören und
Sehen längst vollkommen vergangen sein.
Darum will ich mich doch beeilen, Ihnen
eine Ahnung davon zu verschaffen, wie
Ludwig Rubiner über Herwarth Waiden
dachte. Er hat während des Krieges einen
einzigen Brief aus der Schweiz an Herwarth
Waiden gerichtet. Dieser Brief aber geht
in einer ganz anderen Melodie und lautet so:
25. Februar 1917 Zürich, Hadlaub 11
„Herwarth Waldens „Buch der Menschen-
liebe" leitet eine neue Epoche der Litera-
tur ein.
Ich kenne in keiner Sprache einen lebenden
oder toten Zeitgenossen, der etwas (auch nur
annähernd!) so Bedeutendes veröffentlicht
hätte. ^
Dieser Roman hat mir die tiefsten brüder-
lichen Glücksmomente gebracht — und
wird sie noch vielen Menschen bringen —
die Gedrucktes überhaupt erwecken kann.
Nach hundert Jahren wird von allen
Büchern zwischen 1880 und 1916 nur das
„Buch der Menschenliebe" geblieben sein.
Und es wird ungealtert mit herrlichster Auf-
wühlung gelesen werden.
Es ist ein wirkliches Buch der Menschen-
liebe."
Ludwig Rubiner
Das klingt iatal! Nicht wahr, Herr West-
heim? Das wird einigen Teufeln gar nicht
in das Konzept passen. Die Toten reden.
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