letzter Klarheit zu ziehen ist: die fiktional und mit Klatschgeschichten ange-
reicherte Biographie und Epistolographie, die Perihegese (eine kulturelle und
völkerkundliche Interessen bedienende Städte- und Länderkunde) und die die
Paradoxographie bzw. Mirabilienliteratur (Sammlung von staunenerregenden
Kuriositäten, besonders aus dem Bereich der Natur und der menschlichen Sit-
ten und Gebräuche).
Das Unterhaltungsbedürfnis führt des weiteren zu bezeichnenden Umgestal-
tungen und Neuakzentuierungen im Bereich traditioneller, seriöser Gattungen.
Das kommt besonders signifikant in zwei Spielarten hellenistischer Historiogra-
phie zum Ausdruck?3 Die eine, die sogenannte tragische Geschichtsschreibung,
orientiert sich bewußt an Wirkungsmechanismen der Dichtung, besonders der
Tragödie. Sie akzentuiert das Sensationelle und dramatisiert und emotionali-
siert die Geschehnisse mit der Zielsetzung, beim Leser psychische Effekte wie
Erschütterung und sympathetische Teilnahme zu erzeugen (Hauptvertreter:
Duris, Phylarchos). Diese Richtung, die mit ihren Tragödien in Prosa< gewisser-
maßen den hellenistischen Funktionsverlust des klassischen Genres kompen-
siert, fordert die scharfe Kritik seriöser Historiographie heraus. Als deren Reprä-
sentant setzt sich im 2. Jh. Polybios (ca. 200—120) mit Phylarchos (anläßlich von
dessen Darstellung der Einnahme Mantineias durch Antigonos Doson im Jahre
223) auseinander und läßt dabei die eigene und die gegnerische Position mit
aller Deutlichkeit hervortreten (2,56,3—12):
»Im allgemeinen hat dieser Geschichtsschreiber in seiner ganzen Abhandlung
vieles aufs Geratewohl und wie es sich gerade traf dargestellt. Indessen ist es
hinsichtlich des übrigen wohl nicht nötig, im gegenwärtigen Moment Kritik
zu üben oder ins Detail zu gehen. Was jedoch mit den von uns beschrie-
benen Zeiten zusammenfällt ..., das müssen wir gründlich prüfen, und das
wird völlig ausreichen, um auch die gesamte in seiner Abhandlung entfaltete
Intention und Fähigkeit zu erfassen. In der Absicht, die Brutalität des Antigo-
nos und der Makedonen ins Licht zu rücken ..., behauptet er, die Mantineier
seien nach ihrer Unterwerfung in großes Unglück geraten, und die älteste
und größte Stadt in Arkadien habe mit so gewaltigen Schicksalsschlägen rin-
gen müssen, daß sie alle Griechen zu Teilnahme und Tränen veranlaßt habe.
Im Bemühen, die Leser zu Mitleid zu erregen und zu bewirken, daß sie das
Dargestellte in mitfühlender Betroffenheit aufnehmen, präsentiert er Umar-
mungen von Frauen, zerraufte Haare und entblößte Brüste, dazu noch Trä-
nen und Klagen von Männern und Frauen, wie sie inmitten ihrer Kinder und
greisen Eltern in die Sklaverei weggeführt werden. Das tut er in seiner ganzen
DIE LITERATUR ALS SPIEGEL EPOCHALEN WANDELS
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reicherte Biographie und Epistolographie, die Perihegese (eine kulturelle und
völkerkundliche Interessen bedienende Städte- und Länderkunde) und die die
Paradoxographie bzw. Mirabilienliteratur (Sammlung von staunenerregenden
Kuriositäten, besonders aus dem Bereich der Natur und der menschlichen Sit-
ten und Gebräuche).
Das Unterhaltungsbedürfnis führt des weiteren zu bezeichnenden Umgestal-
tungen und Neuakzentuierungen im Bereich traditioneller, seriöser Gattungen.
Das kommt besonders signifikant in zwei Spielarten hellenistischer Historiogra-
phie zum Ausdruck?3 Die eine, die sogenannte tragische Geschichtsschreibung,
orientiert sich bewußt an Wirkungsmechanismen der Dichtung, besonders der
Tragödie. Sie akzentuiert das Sensationelle und dramatisiert und emotionali-
siert die Geschehnisse mit der Zielsetzung, beim Leser psychische Effekte wie
Erschütterung und sympathetische Teilnahme zu erzeugen (Hauptvertreter:
Duris, Phylarchos). Diese Richtung, die mit ihren Tragödien in Prosa< gewisser-
maßen den hellenistischen Funktionsverlust des klassischen Genres kompen-
siert, fordert die scharfe Kritik seriöser Historiographie heraus. Als deren Reprä-
sentant setzt sich im 2. Jh. Polybios (ca. 200—120) mit Phylarchos (anläßlich von
dessen Darstellung der Einnahme Mantineias durch Antigonos Doson im Jahre
223) auseinander und läßt dabei die eigene und die gegnerische Position mit
aller Deutlichkeit hervortreten (2,56,3—12):
»Im allgemeinen hat dieser Geschichtsschreiber in seiner ganzen Abhandlung
vieles aufs Geratewohl und wie es sich gerade traf dargestellt. Indessen ist es
hinsichtlich des übrigen wohl nicht nötig, im gegenwärtigen Moment Kritik
zu üben oder ins Detail zu gehen. Was jedoch mit den von uns beschrie-
benen Zeiten zusammenfällt ..., das müssen wir gründlich prüfen, und das
wird völlig ausreichen, um auch die gesamte in seiner Abhandlung entfaltete
Intention und Fähigkeit zu erfassen. In der Absicht, die Brutalität des Antigo-
nos und der Makedonen ins Licht zu rücken ..., behauptet er, die Mantineier
seien nach ihrer Unterwerfung in großes Unglück geraten, und die älteste
und größte Stadt in Arkadien habe mit so gewaltigen Schicksalsschlägen rin-
gen müssen, daß sie alle Griechen zu Teilnahme und Tränen veranlaßt habe.
Im Bemühen, die Leser zu Mitleid zu erregen und zu bewirken, daß sie das
Dargestellte in mitfühlender Betroffenheit aufnehmen, präsentiert er Umar-
mungen von Frauen, zerraufte Haare und entblößte Brüste, dazu noch Trä-
nen und Klagen von Männern und Frauen, wie sie inmitten ihrer Kinder und
greisen Eltern in die Sklaverei weggeführt werden. Das tut er in seiner ganzen
DIE LITERATUR ALS SPIEGEL EPOCHALEN WANDELS
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