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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 5.1931

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Nr. 10 (8. März)
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Ljrrg. V. Nr. 10 vom 8. März 1931

WELTKUNST

3

solche Binsenwahrheit leicht hinwegzuseßen.
^Ie seisen gleich: Figur mit slawischen Backen-
knochen und ostischem Aussehen, -also ent-
halt diese Kunst „osiisch minderrassigen Ein-
schlag“.
. Auch sonst zeichnen sich -diese Kunst-
kritiker durch völlige Unkenntnis moderner
künstlerischer Bestrebungen aus — was sie
aber keineswegs daran hindert, diese Bestre-
bungen von vornherein zu verurteilen. Sie
bringen es beispielsweise fertig, Barlach und
dle Bauhausbestrebungen in einem Atem zu
nennen, obgleich beide durch nichts mit-
einander verbunden sind. Sie bekämpfen -das
Bauhaus, nicht weil sie wirklich Einwendun-
gen gegen seine künstlerischen Ziele zu
fachen wüßten, sondern weil ihnen einzelne
persöniichkeiten des Bauhauses aus rein
Politischen Gründen mißliebig sind. Und da
tur sie Barlach ebenfalls zur „Bauhaus-Aera“
Uehörf, übertragen sie den Haß auch auf ihn.
Wenn jene Rassefanatiker sich nur einen
unken Urteilskraft in künstlerischen Dingen
bewahrt hätten, so würden sie nicht gerade
Quf Barlach verfallen sein, um an seiner Kunst
”Ostisches Untermenschentum“ zu demon-
pyieren. Sie hätten kein (für sich selbst)
tödlicheres Beispiel finden können als dieses:
p.Ues an Barlach — seine Rückkehr in die
Einsamkeit seiner mecklenburgischen Heimat,
Bymbol seiner Verbundenheit mit der nord-
deutschen Landschaft; seine Vorliebe für jenes
echt nordische Zwielicht, das hinter der Re-ali-
jbt das Gespenstische der Dinge auftauchen
l0&f; sein Ringen mit der Form, das an
■fofische Formgebung gemahnt — alles erweist
h|n als Künstler germanischer und deutscher
Aft- Hätte man zeigen wollen, welche Kraft
oin Künstler aus enger Verbundenheit mit
Volkstum und Landschaft schöpfen kann, so
V'oi'e kaum ein besseres Beispiel denkbar als
Barlach. Die Tatsache, daß man auch in diesem
* all die Dinge in ihr Gegenteil verkehrt, zeigt
die Verblödung, die die Übertragung der
passendogmat-ik auf künstlerisches Gebiet
bereits bewirkt hat.
, Es ist von jener Seife her oft und lauf ver-
engt worden, die deutsche Kunst solle sich
bkf ihr deutsches Wesen besinnen und es in
Voller Reinheit zur Geltung bringen. Wenn
jpan -aber — wie im Falle Barlach — auf einen
"■unstier stößt, der wirklich ganz aus deui-
chem und germanischem Wesen schöpft, so
W|,'d ihm nicht nur die Gefolgschaft versagt,
Sondern er wird geschmäht. Statt immer nur
’e Worte „nationale Kunst“ im Munde zu
Uhren, sollte man das Deutsche in der Kunst
''Unächsf einmal dort erkennen und fördern,
w° es in voller Tiefe bereits vorhanden ist.

Gluckmann in Paris
In der Galerie Colette Weil, Paris,
stellte der Maler Gregor Gluckmann nach
sechsjähriger Pause zum zweiten Male aus.
Wie schon seinerzeit die Arbeiten dieses
Künstlers durch Originalität überraschten, ist
es auch dieses Mal die ganz besondere Note,
die neben großem technischem Können die
Besucher fesselt. Aktstudien und Komposi-
tionen figürlicher und landschaftlicher Art


Schweizer Meister, Männerbildnis. Dat. 1578
Versteigerung — Vente — Sale:
Aktiebolaget H. Bukowskis Konsthandel, Stockholm
18.—19. März 1931

stehen sich gegenüber. Beim Akt ist es der
gewissenhafte Künstler, der die Natur in über-
tragener Form wiedergibf und dem es gelingt,
die Fleischtöne in durchscheinender Lebendig-
keit zu malen. Bei den Kompositionen ist er
ein Interpret traumhafter Visionen von größter
Zartheit bis zu fast brutaler Bizarrerie. Auch
als Illustrator beginnt sich Gluckmann einen
Namen zu machen. Seine Bilder zu E. T. A.
Hoffmann, Heine, „Manon Lescaut“ sind
ebenso sicher in der Zeichnung wie originell
in der Konzeption. J. S

Kunsthandel und Expertise
Beiträge zur Diskussion des Problems*)

Der Versuch einer Klärung des Verhält-
nisses zwischen Kunsthandel, Sammler und
Experten ist in den letzten Jahren vor der
Öffentlichkeit in mehr oder weniger objek-
tiver 'Weise mehrfach gemacht worden, ohne
daß Jas Anschneiden dieser Frage die Mög-
lichkeit einer Verständigungsbasis für die
gegensätzlichen Meinungen zu diesem seit
langem in der Luft liegenden und langsam
eine Atmosphäre von Mißtrauen und Miß-
deutung erzeugenden Problem erbracht
hätte. Trotzdem wir die Expertisenfrage
niemals als ein Zwntralproblem des modernen
deutschen Kunsthandels betrachtet haben,
entschlossen wir uns, der durch diese Artikel
und durch einzelne Fälle hervor gerufenen Be-
unruhigung im Interesse des Ansehens des
Kunsthandels wie der Kunstwissenschaft da-
durch entgegenzutreten, daß wir, dem Drängen
weitester Kreise des Kunsthandels selbst fol-
gend, mit einigen uns von Kunsthändler Seite
zugegangenen Artikeln und Projekten eine
Diskussion eröffneten, als deren Aufgabe wir
eine sachliche Klärung des Problems und
eine präzise Fixierung der verschiedenen An-
sichten betrachteten.
Es ist von unserer Seite nie der Ver-
such unternommen worden, in parteiischer
Stellungnahme den Gang der sich logisch ent-
wickelnden Diskussion zugunsten oder zu-
ungunsten bestimmter Interessenten-
gruppen zu beeinflussen, da wir jede Mei-
nung, soweit sie durch die Persönlichkeit
Eires Verfassers oder durch ihre sachlichen
Argumente wertvoll erschien, zu Worte
kommen ließen, und daher jeder Partei die
volle Möglichkeit gegeben haben, in freier
Kräfteverteilung ihre Positionen zu ver-
teidigen. Wogegen wir uns jedoch von An-
fang an im Interesse des Kunsthandels wie
der Wissenschaft grundsätzlich verwahrt
hatten, war die Aufrollung von Einzelfällen
wie das II er anziehen, persönlicher Momente,
Wozu naturgemäß gerade eine solche Dis-

'•'itz Rothmann, Berlin:

P Der Kampf um das Expertisenwesen hat
°rmen angenommen, die es einem unbe-
/Werten Zuschauer kaum mehr möglich
achen. Recht von Unrecht zu unterscheiden.
\v x Qn kann den Gegnern des Expertisen-
Csens den Vorwurf nicht ersparen, dafj sie
vn der gehässigen Art, in der die Meinungs-
^erschiedenheiien ausgetragen werden, in
‘^ter Linie die Schuld tragen. Abgesehen

tign\Seit Eröffnung der Diskussion über die Exper-
KlT\r/a^e CNE 33) nahmen bisher in der WELT-
Mav ^as Wort: Dr. A Lapp-Rottmann, Geh.-Rat
X)rx J. Friedländer, Prof. Dr. F. Schottmüller,
linf Grold, G. Brandmayer, Prof. Dr. Winkler,
Pr Prof. Dr. G. Glück, Sir Charles J. Holmes,
Dr r- Dr. Koetschau, Dr. Jos. Stransky, Hofrat Prof.
IV Jt- Tietze, Dr. Heinemann-Fleischmann, Prof.
Fahl ’ Baum, Prof. Dr. 0. Fischer, Dr. J. B. de la
br Ä’ TProf- Dr. H. Schmitz, Dir. Dr. E. Wiese,
Ra‘f 77 Leporini, Dr. Katz. R.-A. B. Svenonius, Geh.-
Rat Dr. W. Pinder. Prof. Dr. R. Berliner. Geh.-
WaOFP1?f- Dr. A. Eibner, Geh.-Rat Prof. Dr. W.
Sternk°?dt, Geh.-Rat Dr. E. H. Zimmermann und Carl
einneim.

kussion leicht genug verführt hätte. Die
Menge der bei uns eingegangenen Zuschriften
mit'persönlichen Angriffen und Verfehmun-
gen, die von uns ausnahmslos ab gelehnt wur-
den, übertrifft bei weitem die Zahl der
während der Dauer der Polemik in der
„Weltkunst“ veröffentlichten sachlichen Bei-
träge, deren im Laufe der Diskussion zeit-
weise erfolgte unvermeidbare Zuspitzung
letzten Endes, wie jeder objektive und un-
parteiische Leser' zugeben muß, niemals den
Rahmen- überpersönlicher, dem Kampf um
das Problem dienender Betrachtungsweise
überschritt und dadurch niemals Einzel-
fälle zur Diskussion stellte, die uns der
Klärung des Problems nicht näherbringen
konnten.
Ein Vorwurf, die Diskussion in einseiti-
ger Betrachtungsweise geführt zu haben,
kann der „Weltkunst“ aus allen diesen
Gründen wahrlich nicht gemacht werden, was
auch immer wieder in der gesamten Presse
des In- und Auslandes, die den Verlauf der
Diskussion eifrig kommentierte, anerkannt und
besonders gewürdigt wurde. Das Interesse des
Ansehens des deutschen Kunsthandels, das
den Antrieb zur Behandlung der Expertisen-
frage bildete, führte während der ganzen
Dauer der Diskussion immer wieder auf das
Grundproblem, die Exegese der Expertise,
zurück. Wenn durch eine Reihe von Aeuße-
rungen wissenschaftlicher Kreise die Dis-
kussion von der Fragestellung: Kunsthandel
und Expertise, zu der anderen: Wissenschaft
und Expertise, abgewandelt worden zu sein
schien, so war diese Abschweifung innerhalb
des Ges amt Problems durchaus natürlich
und ebnet in mancher Beziehung den Weg zu
der sachlichen Betrachtungsweise, die aus
den hier folgendem Erörterungen von Herrn
Dr. Fritz Rothmann spricht, die wir
als Äußerung aus maßgeblichen Kreisen des
deutschen Kunsthandels mit besonderer
Genugtuung begrüßen. DIE WELTKUNST

von dem mißverständlichen Artikel des Dr.
Heinemann-Fleischmann in der „Weltkunst“
Nr. 37 haben sich die Verteidiger des Exper-
tis-enwesens, soweit sie überhaupt das Wort
ergriffen haben, wesentlich scnücnterner ver-
halfen. Insbesondere hat sich der Kunsthandel
nur sehr vereinzelt geäußert und dabei ver-
mieden, sich zu exponieren. Dadurch ist das
Grundproblem, das zur Expertisenwirtschaft
geführt hat, bisher noch nicht mit der nötigen
Klarheit umrissen worden. Weder die Kunst-
händler noch die Experten sind dafür verant-
wortlich, daß Expertisen in den meisten Fällen
zur Grundlage des Verkaufs eines Kunstwerks
gemacht werden, sondern das Publikum. Gut-
achten werden ausschließlich deshalb vom
Kunsthändler eingefordert, weil die Käufer
von Kunstwerken sie verlangen. Der Sammler
will möglichst das Urteil eines Fachmannes
hören, der an dem Verkauf nicht interessiert
ist. Er weiß, daß er mit der Garantie des Ver-
käufers allein nicht viel anfangen kann, wenn

die Sache streitig wird. Das Gericht muß in
einem Prozeßverfahren, bei dem es sich um
die Echtheit oder Unechtheit eines Kunst-
werkes handelt, Sachverständige vernehmen.
Im günstigsten Fall werden die Sachver-
ständigen einig sein; ihr Gutachten wird dann
lauten (oder ist nur dahin auslegbar), daß sie
„glauben, bei dem heutigen Stande der
Wissenschaft das Kunstwerk als von der Hand
eines bestimmten Meisters stammend oder
nicht stammend ansprechen zu können". Da-
mit ist wenig genug erreicht. Denn diese Ein-
schränkung gibt der Gegenpartei immer noch
die Möglichkeit, nachzuweisen, daß die
Wissenschaft eben fortschreite, und daß
durchaus die Möglichkeit bestände, vielleicht
schon in kürzester Zeit neue Tatsachen
kennenzulernen, aus denen der Irrtum dieser
Sachverständigen hervorgehe; es gebe genug
Beispiele aus der Vergangenheit dafür. In
vielen Fällen aber werden die Sachverstän-
digen entgegengeseßter Ansicht sein. Was
soll dann der Richter tun? Er wird versuchen,
eine Einigung zwischen den Parteien herbei-
zuführen, und wenn sie nicht möglich ist, dem
-einen Sachverständigen mehr glauben als dem
anderen und darauf sein Urteil stüßen, das
dann die übergeordnete Instanz mit genau
demselben Recht wieder aufheben und eni-
gegengeseßf -entscheiden kann. (Ich spreche
natürlich nicht von ausgesprochenen und exakt
nachweisbaren Fälschungen oder Nach-
ahmungen.)
Ich bin der Ansicht, daß — solange es
Käufer und Verkäufer für Kunstwerke gibt —
solche Leute, denen man auf Grund ihrer bis-
herigen Leistungen und ihrer (meinetwegen
nur angenommenen) Kenntnisse ein Urteil auf
diesem Gebiet zutraut, befragt worden sind,
ob man das angebotene Kunstwerk kaufen
solle oder nicht. Wahrscheinlich wird schon
im römischen Altertum der Kunstliebhaber,
dem eine griechische Antike angeboten wurde,
irgendjemand Dritten, von dem er weiß, daß er
sich lange in Griechenland aufgehalten und
die dortigen Kunstwerke mit besonderem
Interesse betrachtet hat, gefragt haben, ob
auch er das angebotene Stück für eine echte
griechische Arbeit halte. Die erbetene Ant-
wort ist ein „Gutachten“. Es macht keinen
Unterschied aus, ob diese gutachtliche Äuße-
rung mündlich oder schriftlich erteilt wird.
Denn würde sich derjenige Drifte, der das Ver-
trauen des genannten Römers besißt, gerade
in Athen befinden und der Römer würde ihm,
um seine Ansicht zu hören, die Statue dort
hinschicken, so würde diesem Dritten in Athen
wohl nicht viel anderes iibrigbleiben, als seine
Ansicht dem anderen brieflich, d. h. also
schriftlich, mitzuteilen. Nehmen wir einmal an,
daß nach erfolgtem Kauf der Römer seiner-
seits das Ding wieder loswerden will und es
einem anderen für diese Kunstart inter-
essierten Marine zum Kauf anbietet, so wird
er den neuen Reflektanten auf die bereits ein-
geholte Äußerung jenes Kenners hinweisen und
ihm dabei den Brief desselben als Bekräfti-
gung vorlegen. Und damit hätten wir das
klassische Beispiel einer Expertise. So sind
sie entstanden, und nur die ungeheure Aus-
dehnung des Kunstinteressenten-Kreises über
die ganze Welt hat dazu geführt, daß in ent-
sprechend gesteigertem Maße Gutachten ver-
langt und gegeben werden. Der außerhalb
jener Stadt lebende Sammler, in der sich der
Gelehrte aufhält, der durch seine bisherigen
Arbeiten in der allgemeinen Meinung als
bester Kenner einer bestimmten Kunstgattung
gilt, wird nicht jedesmal eine Reise mit dem
ihm an-gebotenen Stück unternehmen wollen,
um sich persönlich dessen Echtheit von dem
Kenner bestätigen zu lassen. Er wird es
brieflich tun und so mit dem Antwortschreiben
eine regelrechte Expertise empfangen, oder
aber er wird es darüber hinaus begrüßen,
wenn eine solche Expertise ihm vom Ver-
käufer gleich mit vorgelegt werden, kann.
Verlangt das Publikum in den allermeisten
Fällen eine Expertise, so soll man es deshalb
nicht für blöde halten oder ihm die Berechti-
gung zum Kauf von Kunstwerken mit der Be-
hauptung absprechen, nur der solle Kunst
kaufen, der selbst genügend davon verstände.
Erstens gibt es nun einmal eine große Anzahl
von Leuten, die nichts davon verstehen und
troßdem den Wunsch haben, Kunstwerke zu
kaufen, und zweitens pflegen die Menschen
gewöhnlich auch bei anderen einschneiden-
deren Handlungen sich gern des Rates eines
erfahrenen Dritten zu bedienen. Wer ein Haus
kaufen will, begnügt sich selten mit den Er-
klärungen des Verkäufers allein, sondern holt
auch die Ansicht eines erfahrenen Dritten dar-
über ein, ob in dem Gemäuer nicht der
Schwamm siße oder ihm auch nicht der Balken
auf den Kopf fallen könne.
Grun-dsäßlich wird man Gelehrte, die auf
kunstwissenschaftlichem Gebiet eine Lebens-
arbeit geleistet haben, für objektiv und nur
ihrer Überzeugung folgend halten müssen, so-
lange das Gegenteil nicht erwiesen ist. Das
gilt selbstverständlich bei den Kennern, die
sich niemals persönliche finanzielle Vorteile
zu schaffen suchten, wie es Bode war und
Friedländer ist! Ganz entschieden muß aber
auch dem Argwohn widersprochen werden,
daß em Expert, der sich seine gutachtliche
Äußerung bezahlen läßt, deshalb dem ihm vor-
gelegten Objekt gegenüber es an der wissen-
schaftlichen Objektivität fehlen lassen könne.
Daß dem nicht so ist, weiß jeder, der bei-
spielsweise mit Hofstede de Groot zu tun ge-
habt hat. Ich habe diesem großen Kenner
seines Spezialgebietes Dußende von Bildern
gezeigt und niemals auch nur den Schatten
eines Verdachtes schöpfen können, daß er sich
zu einem Gutachten aus finanziellen Gründen
entschlossen hätte oder entschließen würde.
Bei den allermeisten lebenden Experten, die
sich ihre Gutachten bezahlen lassen, habe ich
ebenfalls niemals festsfellen können, daß sie
ihre gutachtlichen Äußerungen durch finanzielle
Vorteile beeinflussen lassen. Nicht jeder, der

die Beschäftigung mit der Kunstgeschichte zu
seiner Lebensarbeit gemacht hat, kann (oder
ist geeignet dazu) eine Lehrtätigkeit ausüben
oder in den Museumsdiienst eintreten und
seinen Unterhalt auf diese Weise sicherstellen.
Warum soll er sich die Früchte einer erfolg-
reichen Forschungsarbeit (und ohne eine
solche würde man seine Gutachten nicht be-
gehren!) nicht bezahlen lassen? Weil die
Möglichkeit besteht, er könne durch die Aus-
sicht auf Gewinn gegen seine Überzeugung
handeln? Hält man eine solche Beeinflussung
aus allgemein menschlichen Gründen für sehr
naheliegend, so müßte man auch von Chirur-
gen annehmen, daß sie wegen ihres ärztlichen
Honorars einen nicht notwendigen operativen
Eingriff vornehmen würden oder müßte grund-
säßlich Anwälten zutrauen, sie könnten aus
Eigennuß zu Prozessen raten, die -ihnen selbst
aussichtslos erscheinen. Ohne die Gefahren
menschlicher Unzulänglichkeit gering ein-
schäßen zu wollen: ein anständiger Mann lehnt
es ab, andere bis zum Beweise des Gegen-
teils für unsauber zu halten. Hierbei darf es
keinen Unterschied machen, ob der zu erwar-
tende Gewinn hoch oder niedrig ist. (Eine
andere Frage ist, ob man von den Experten
größere wissenschaftliche Akribie bei der Ab-
fassung ihres Gutachtens verlangen soll, oder
ob man aus Gründen der Staatsräson die ent-
geltliche Expertentäfigkeit eines Museums-
beamten für unstatthaft hält.) Das Gutachten
des Gelehrten durch -ein solches eines Gre-
miums von Händlervertretern erseßen zu
wollen, scheint mir nicht geeignet, die Objek-
tivität der Expertisen zu erhöhen; gegen eine
solche Institution sprechen- die Erfahrungen,
die man im Ausland damit gemacht hat.
Es ist leicht für Gelehrte, die grundsäßlich
kein Urteil über Kunstwerke, deren Echtheit
nicht durch jahrhundertelange Anwesenheit in
Museen über jeden Zweifel erhaben ist, ab-
geben und somit der leider allgemein-mensch-
lichen Eigenschaft, sich auch irren zu können,
auszuweichen wissen, mit erhobenem Zeige-
finger auf Fehler hinzuweisen, die andere
Leute, die sich nicht davor fürchten, sich zu
exponieren, begehen. Es liegt mir absolut
fern, die große wissenschaftliche Leistung sol-
cher, dem Gutachtenwesen fernstehender Ge-
lehrten herabzuseßen. Wer praktische kunst-
historische Arbeit leistet, d. h. also, wer ver-
schollenen Werken eines Meisters nachzu-
gehen, Kunstwerke, deren Urheber noch nicht
durch Tradition und Etikettierung feststehen, zu
identifizieren sucht, wird „Gutachten“ geben
müssen, ob er will oder nicht. Seine Äuße-
rung darüber, was er von dem ihm vorgeleg-
ten Kunstwerk hält, ist Gutachten; und wenn
er sie schriftlich jemandem mifteilf, so ist
dieser Brief „Expertise". Und solange es
Gelehrte geben wird, die Freude daran haben,
die Schöpfungen eines Meisters oder eines
Zeitalters möglichst lückenlos zusammen-
zustellen, und solange es ferner Menschen
gibt, die Kunstwerke kaufen, ohne selbst pro-
funde Kenner der von ihnen begehrten Kunst-
richtung zu sein, solange wird es Experten
und Expertisen geben. Ebensolange aber
wird es auch Irrtümer geben. Mit ihnen muß
man sich abfinden, — genau wie man sich mit
mißglückten Operationen, ungerechten richter-
lichen Erkenntnissen usw. abfinden muß. Die
Geschichte der Malerei ist in den leßten Jahr-
zehnten von „Experten" geschrieben wor-
den, von verehrungswürdigen Kennern wie
Bode, Friedländer, de Groot und Berenson.
Uber ihre Leistungen haben sich dann andere
Gelehrte schöne Gedanken gemacht und
diesen Gedanken in tiefschürfender Weise
Ausdruck zu geben vermocht.
Die meisten so überaus harten Artikel der
Feinde des Expertisenwesens müssen bei
einem unbefangenen Leser den Eindruck er-
wecken, als spiele sich der Kunsthandel auf
folgende Weise ab: so ein Kunsthändler kauft
für einen lächerlich geringen Preis ein wenn
nicht falsches, so mindestens außerordentlich
mieses Objekt, ein Experte schreibt ihm dazu
freudestrahlend gegen ein machtvolles Hono-
rar das Gutachten auf einen großen Meister,
worauf nunmehr der Kunsthändler es mit rie-
sigem Verdienst an einen armen betrogenen
Sammler weitergibt!
Ich wünsche den Herren der hehren Wissen-
schaft nicht, daß sie ihr Brot im Kunsthandel
verdienen müßten; sie würden ihr blaues Wun-
der erleben und schnellstens sich wieder zu
ihren Lehrstühlen begeben, deren Dotierung
sie sehr wohl und mit vollem Recht der Be-
deutung und Begehrtheit ihrer Lehrtätigkeit
anzupassen wissen.
Also: es geht nicht ohne Expertisen, weil
das Publikum sie verlangt und aus oben-
genannten Gründen immer verlangen wird.
Expertisen sind nicht schädlich; der Käufer
kann darüber hinaus, wenn er seine Sicherheit
dadurch zu erhöhen glaubt, den Abschluß auch
noch von der Garantie des Verkäufers ab-
hängig machen. Man soll ihn nicht für ein
hilfloses Objekt der Schlechtigkeit dieser Welt
ansehen. Meistenteils hat er das Geld, das er
für ein Kunstwerk zahlt, selbst verdient und
ist durch diese Tätigkeit mit der rauhen Wirk-
lichkeit und all ihren Pfeilen und Schleudern
vertraut geworden; er wird sich wie auch
bei seinen sonstigen Geschäften gegen Be-
trug zu schüßen wissen.
Wer aber beim Kauf alter Kunstwerke die
selbstverständlichen Grenzen, die nicht nur auf
diesem Gebiet der menschlichen Erkenntnis
geseßt sind, ausschließen will, der soll die
Werke lebender Künstler kaufen. Sie sind
nicht weniger schön als die Kunstäußerungen
vergangener Epochen. Wenn er nicht wünscht,
sich mit den künstlerischen Zeugen der Ver-
gangenheit im eigenen Hause zu umgeben,
selbst wenn ihm hierbei Irrtümer unterlaufen,
dann mag er die Museen aufsuchen und sich
in den Vorlesungen großer Gelehrter über die
tiefen Zusammenhänge in der künstlerischen
Menschheits-Entwicklung und Ästhetik be-
lehren lassen. _
 
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