Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 5.1931

DOI Heft:
Nr. 16 (19. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44978#0191
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
V, Nr. 16 vom 19. April 1931

DIE WELTKUNST

13

BAU UND RAUMKUNST

KUNSTGEWERBE




Raum und

Bis dahin wurden ohne

dem

Bli


..

Abstraktion

^danient zum neuen Heim gelegt1, dann fing
s&er jene eiben erwähnte Quelle lustig zu
Wudeln an. Da war noch als wichtiges Ka-
ll d'e Farbe der Tapeten zu beraten, und
ß “stverständlich glaubte jedes als wahl-
Wechtigt anerkannte Familienmitglied über

des
des

gegenübergestellt.
Bedenken x-beliebige Warenhausmöbel für
ein ebenso beliebiges Zimmer gekauft —
diese Möbel vermochten natürlich nicht den
Raum organisch zu füllen, es enstanden
Lücken, die wieder ausgefüllt werden mußten;
die weitere Folge davon war die Überladen-
heit mit meist wertlosen Plastiken — jeßt ent-
warf der Architekt Zimmer und Möbel in eins,
paßte die Masse beider nach künstlerischen
Gesichtspunkten einander an. Dadurch ent-
behrt das Ganze zwar des detaillierten Ge-
schmacks seines Besitzers — was dabei her-
ausgekommen ist, haben wir wohl alle schau-
dernd miterlebt — es gewinnt dafür aber eine
eigene Note, eine ihm gemäße Stimmung, das
Zimmer an sich wird ein lebendiger Organis-
mus.

Erich Mendelssohn, Kaufhaus Schocken, Chemnitz
Ausstellungen: Deutsche Kunst und Architektur, Belgrad-Zagreb

sondern es bindet jeßt die Decke hell mit in
sich hinein. In einem solchen Raum unterwirft
sich der Mensch der über seiner Umgebung
liegenden Atmosphäre, die Stimmung
Zimmers dominiert über die Stimmung
Menschen.

Der Speisesaal etwa sieht folgendermaßen
aus: Im Gegensaß zu den bisherigen schreck-
lichen tables d’höfes, im Gegensaß zu den
dazugehörigen langgestreckten Räumen und
Gängen, die immer eine Atmosphäre anöden-
der Leere um sich verbreiten, wird jeßt der
Tisch rund gewählt (Anklänge an die Bieder-
meierzeit). Rund, weil er seinen Zweck am
ausreichendsten erfüllt: Er begünstigt eine
allgemeine Tischunterhaltung und gestattet
dem Speisenden, sich der einzelnen Gerichte
ohne Hilfe des Nachbarn zu bedienen. Der
Raum wird der Form des Tisches angeglichen
und zylindrisch um ihn aufgebaut. Ein so ge-
staltetes Zimmer gibt dem Gast das Gefühl
der Abgeschlossenheit vom grauen Alltag.
Durch mehr oder minder starke Nuancierun-
gen in der Farbtönung gewinnt es den ge-
wünschten Grad der Intimität. Ein flacher Ab-
schluß auf dem runden Raum würde selbst-
verständlich eindrückend wirken, darum hat
man ihn zur abgetreppten Kuppel auf-
gelockert. Auf diese Weise wird selbst der
Luftraum noch gestaltet und hilft mit, dem
Raum sein persönliches Gepräge zu geben.
Lichtröhren — an Stelle der früheren Hänge-
lampen — strahlen ihr Licht gegen die Decke,
von der es ins Zimmer reflektiert wird. Diese
Anordnung gewährleistet eine gleichmäßig
verteilte Helligkeit, ein ruhigeres Licht als
früher, das nicht in die Augen sticht. Es
nimmt vor allen Dingen der Decke jene un-
persönlich verdämmernde Leere. Das Zimmer
reicht nicht mehr nur bis zur Tapetenleiste,

Hans Poelzig, Verwaltungsgebäude der I. G. Farbenindustrie, Frankfurt a. M.
Ausstellungen: Deutsche Kunst und Architektur, Belgrad-Zagreb

Bruno Paul, Kathreinerhaus, Berlin
Ausstellungen: Deutsche Kunst und Architektur, Belgrad - Zagreb

in der Architektur
Es ist anzunehmen, daß der Höhlenmensch
aus Spiel-, Schmuck- und Nachahmungstrieb
heraus sich zuerst plastisch zu äußern ver-
suchte, die Kopie irgendeines Dinges in den-
selben drei Dimensionen versuchte, die er
sehen mußte. Der nächste Schritt war die
Zeichnung, die Malerei, die Übertragung aus
dem Dreidimensionalen in das Zweidimensio-
nale — eine schon wesentliche Differenzie-
rung bei der Betätigung dieser drei Triebe. Die
Uranfänge der Baukunst waren der leßte
Schritt über die Grenze der Genügsamkeit an

I.
Wer erinnert sich nicht mit Schrecken dar-
• Welch eine Haupt- und Staatsaktion es
ch vor etwa 15 Jahren war, wenn nach
P^hreren heftig verlaufenden Debatten der
■^Hiilienrat die Anschaffung einer neuen
°hnungseinriichtung beschlossen

III.
Die jüngste Entwicklung hat uns auf
Wege der Entpersönlichung noch einen Schritt
weiter gebracht. Der nüchterne Geist der
Mathematik raubt dem Zimmer den leßten
Rest von Eigenpersönlichkeit, er nimmt ihm
die Atmosphäre. Aufteilung des Raums nach
kalten geometrischen Geseßen, schnittig und
scharf, wird höchstes Bestreben. Kasten-
artige Schränke, struktive Regale, Möbel ge-
ringster Raumbeanspruchung und einfachster
Konstruktion stoßen vor, geben das Bild einer
Zeit, die Geseßmäßigkeit aus Rhythmus for-
dert. Großflächige kühle Farbe tritt an Stelle
harmonisch belebter Buntheit. Die Decke ist
durchgittert in planimetrischer Schnittigkeit,
Licht fällt weiß durch die Öffnungen herein.
Mensch und Wohnapparat sind zwei Pole,
lassen sich zueinander in keine Beziehung
seßen. Der Raum ist Typus geworden. Das
ist das Zimmer unserer Jahre, das Zimmer der
absoluten Mechanik.
IV.
Die Möglichkeiten des Abstrakten sind
auch damit noch nicht erschöpft. Man denke
sich die Möbel anstatt aus Holz etwa aus
Glas, in Eisen eingefaßt, und wir ahnen, was
uns eine künftige Entwicklung noch bringen
kann ....

rohem Fleisch und rohen Höhlen — oder der
erste Schritt eines Neugeborenen, der Kultur.
Und wie in grauer Vorzeit die Baukunst den
ersten Schritt zur Kultur bedeutete, blieb diese
Art der Kunstäußerung führend am Anfang
jeder neuen Epoche der weiteren Entwicklung.
Denn sie mußte bei aller Bizarrerie der je-
weiligen Richtung irgendwie praktisch ver-
wertbar bleiben, müßte die zweckmäßige
Seite des Menschenverstandes repräsentie-
ren, den der Entdeekerenthusiasmus seiner
Formen in ein Ideenlabyrinth treiben konnte,
dessen Ausgang konkret wie abstrakt Über-
treibung war. — Die Baukunst blieb ein
jugendlicher Greis, der sich wohl zu Tollheiten
seiner Umgebung hinreißen lassen konnte,
aoer immer zuerst zu positiver Selbstbetäti-
gung zurückfand.
Der Übersättigung an akademischer Stagna-
tion brachte der Weltkrieg eine eruptive Re-
aktion, die in abstraktem Aschenregen jedes
Ornament, jeden Eindruck realer Form zu er-
sticken trachtete. Malerei und Skulptur fanden
in Begriffen wie „oben“, „unten“, „rechts“ und
„links“ menschliche Unzulänglichkeit. Farbig
und plastisch sollten Stimmungen, Gefühle,
Begriffe ausgedrückt werden. Wohl brachte
die Negierung der Form der Malerei eine
Steigerung harmonischer Farbwerte. Schwie-
riger ist es schon, die Bereicherung der Skulp-
tur zu finden. Denn hier geschah etwas an
sich Selbstverständliches, das die Plastik in
erstaunlichen Gegensaß zur Baukunst brachte. ■
Befreit von formalem Zwang, bestrebt, Be-
griffe auszudrücken, wurde sie zum Ornament,
zu dem verachteten Schmuck der Architektur.
Es ist ebenso paradox wie gewagt, von
Abstraktion in der Baukunst zu sprechen. Ge-
wiß sind Begriffe, wie: Sachlichkeit, Zweck-
mäßigkeit, an sich abstrakt, aber ebenso ab-
strakt wie: Überladenheit der Formen, Dis-
harmonie der Masse usw. Der Trugschluß der
bildenden Künste, Abstraktes mit konkreten
Mitteln auszudrücken, mußte der Architektur
leßten Endes erspart bleiben. Die neuartige
Form, die man dem Bau aus lebendiger Er-
wägung heraus gab, war immer reale, greif-
bare Form. Anfängliche Irrwege behielten
den Werf der Courage, Fehler zu machen. Die
Verschwommenheit in den Bestrebungen der
Malerei und Plastik, die den Weg zu neuer
starker Kunstäußerung erschwerte, war fana-
tische, oft übertriebene Klarheit und Verein-
fachung in der Baukunst. Daß Kunst zum
großen Teil im Weglassen alles irgendwie
Entbehrlichen besteht, wußten die bildenden
Künste so gut wie die Architektur. Der Elan
des Weglassens verbannte zunächst jedes
Ornament, aber er räumte ebenso mit ver-
kalkten Baudogmen auf, mit falschem Nach-
empfinden früherer lebendiger Stilarfen. Und
wenn mit Schädlichem auch manch Nüßliches
fiel — so entstanden nun Bauten von asketi-
scher Reinheit. Sehr gefährlich für die jungen
Baubestrebungen war die zeitgemäße Re-
klame, das verwirrende Schlagwort. Wie in
allen Phasen neuen Werdens vermischt sich
Unechtes mit Echtem. Aber — und das ist
wieder ein Vorzug der Baukunst — augen-
fällige Disharmonie, skrupelloses Experimen-
tieren sind nur kurze Zeit zu verschleiern.
Deutlich kristallisiert sich eine Baurichtung
heraus, die zweckmäßiges Streben so weit re-
alisiert, daß ästhetische Momente sich von
selbst ergeben. Denn auch das bescheidene
Ornament kann zweckmäßig sein — ebenso
wie gewollt übertriebene Einfachheit aggres-
siver wirken kann als Überladenheit. Den Weg
zum Höhepunkt harmonischer Klarheit geht
die Architektur unbeirrt durch den Hexen-
kessel der Reklame und Reproduktion, geht
ihn als Führerin der bildenden Künste. Aus
dem Schutt unproduktiver Schnörkel wächst
die strenge Linie, bis auch sie wieder ver-
kümmert. über aller Abstraktion steht die
konkrete Tatsache immerwährender Er-
neuerung — das perpetuum mobile der Kunst.
v. O e.

I e? Was für eine Quelle von Aufregung,
I.9er, Zwistigkeiten und ähnlichen, das Fa-
llenleben verschönernden Gemütsbewegun-
| n Pflegte dieser eingreifende Beschluß her-
jl'Zuführenl Zwar über das Zimmer war man
bald einig, die Mode schrieb wuchtige
r °Del vor, also ging man hinein ins Waren-
ha ? un(f schaute zu, welches wuchtige Ap-
üeihent den preiswertesten Eindruck
pachte. War der Kauf getätigt und somit das

Jahre seine Individualität herauskehren und
den Ausführungen seines Vorredners
gjj t anschließen zu müssen. War der Zufall
rijUs und die Dickköpfigkeit der Familie
Grk 9era'de westfälisch, so ließ sich doch in-
■if. k Jb der ersten Jahrzehnte ein Kompromiß
beiführen, und sichtlich abgemagert vor
rler ur|d Aufregung — siehe die oben be-
rjj(Js zweimal erwähnte Quelle — durfte
. Irn Geist wieder geeinte Familie ihr
’n Augenschein nehmen. Und wie
lej

Di IL
Vfijlk ^eüen haben sich geändert. Eine Ver-
k HaUtl3 des Lebensgefühls ist damit Hand
k'lderm 9e9angen, die ihren Ausdruck in der
füs GU.n Kunst und im Kunstgewerbe findet.
‘Otm objektivistische Lebensgefühl hat an Be-
?ratiq? ,Verloren, das objektive Weltgefühl
^em Bewußtsein stärker auf. So
Schaf| s’'ch unter der wachsenden Herr-
sön[- der Technisierung eine Entper-
j^iten 1 c b u n g des Menschen vorzube-
lities eirie Entwicklung, die selbst heute noch
als abgeschlossen betrachtet wer-
Bereits einige Jahre später, 1922/23,
eitlrich},Wlr uns in der Frage der Wohnungs-
ang einer völlig veränderten Sachlage

Und wie
da womöglich das Resultat schlaf-
ölr Nächte und verweinter Augen aus?
Möik Hausherr hatte den schwarzen
(lil6'11 in einer gelben Tapete den wür-
flln Hintergrund zu geben für richtig be-
S}Ien, die Tochter des Hauses hatte ihre
diir k e fbr einen grüngesprenkelten Teppich
s(r,am useßen verstanden, der Sohn kam
gro? er,d mit einer Venus — nicht schön, aber
vOrg — angetanzt, die er ihrem von Natur
^stimmten Schicksal, ewig das oberste
Hsj des Ladens zu hüten, grausam enf-
Si^on hatte. Die Mutter, die noch am meisten
Ollel -I Kultur hatte, war, wie immer, in
b(, 01 Überstimmt worden. (Sollten sich in der
Üer y?sie des Lesers die Regenbogenfarben
g6s Zimmereinrichtung noch nicht zusammen-
Hrig * haben, so stelle ich es ihm anheim,
sVrnIi r°fen Lampenschirm als über der Farb-
gefkjOnie thronend, anzunehmen). So un-
iitij jr, also sah das Kuriosum aus. Aber —
Ur kommt die Hauptsache, der Stolz der
sGli 1 ~ dieses Kuriosum atmete ihre Per-
Schrn Leit, ihre Individualität, ihren Ge-

gQ
SsSt

Persönlichkeit
Querschnitt durch die moderne Wohnung
Von
Dr. Herbert W. Leisegang
 
Annotationen