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DIE W E L T K U N S T

Jahrg. V, Nr. 20 vom 17. Mai 1931

liehen zu haben, ist einer unter den vielen Ver-
diensten dieser Schau, für die ein ausreichen-
des Abbildungsmaterial bei Drucklegung der
„Weltkunsi“ wider Erwarten noch nicht vorlag.
Dr. E. v. S.
Die Eröffnungsfeier am 9. Mai wurde
der Bedeutung der Bauausstellung in vollem

Maße gerecht. Die Ministerien des Reiches
und Preußens waren durch Minister und
Staatssekretäre vertreten. Alle Botschaften
und Gesandtschaften, die in Berlin akkreditiert
sind, haften Vertreter entsandt. Man sah vom
Auswärtigen Amt den Staatssekretär von
Bülow und Graf Tatfenbach, von der preußi-
schen Regierung die Staatsminisfer Severing,

Auf Veranlassung des Münchener Bundes,
des Bayerischen Kunstgewerbevereins und des
Bayerischen Landesvereins für Heimatschutz
fanden im Künstlerhaus zu München Vorträge
von Geh. Rat Th. Fischer, München,, Prof. J)r.
R. v. Schöfer. Aachen, und Peter Meyer, Zürich,
über Neues Bauen statt.
Im folgenden bringen wir den Vortrag von
Prof. Dr. v. Schöfer im Auszug, da er von be-
sonderem aktuellen Interesse ist.
Versucht man, an das Phänomen der neue-
ren Entwicklung der Bauformen kritisch heran-
zukommen, so ergeben sich alsbald einige
grundlegende Gesichtspunkte bzw. Tatsachen:
1. Das Phänomen kann nur als organischer
Teil eines elementaren Gesamtge-
schehens, und zwar als dessen notwen-
dige Konsequenz verstanden werden;
2. seine rationale Voraussetzung ist die
technisch-wirtschaftlich-soziale Evolution
des 19. Jahrhunderts;
3. es hat sehr wirksame irrationale Quel-
len, die eine rationalistische Argumen-
tation off wider besseres Wissen weg-
zuleugnen versucht hat; und
4. das Phänomen trägt in einzelnen seiner
Erscheinungsformen noch die Merkmale
einer fiebergeschüttelten Entwicklungs-
zeit, ist aber in seinem Wesen und in
seinen bisher besten Beispielen die Ein-
leitung zu einem überzeugenden Zeit-
ausdruck.

Inhalt Nr. 20
Die Deutsche Bauausstellung (m. Abb.) . . . 1/2
Prof. Dr. Ing. R. v. S c hö f e r :
Die neuen Bauformen.2/3
Dr. Kurt Kusenberg:
Die Wohnung unserer Zeit.3,10
Auktionsvorberichte (mit 7 Abb).4
Auktionsnachberichte
Smlg. Wendland — Smlg. W. v. Dirksen —
Smlg. Stroganoff.4, 8, 9
A u k t i o n s - K a 1 e n d e r .5
Preisberichte.6/7
Sammlung Stroganoff (vollst. Liste) ... 6/7
Literatur — Kunst im Rundfunk.7
Ausstellungen der Woche . . . . 8
Berichte aus Amerika.9
Ausstellungen (in. 3 Abb.).10
Große Berliner — Juryfreie — J. Lurgat — Br.
Krauskopf — K. Wimbauer — Nürnberger Ma-
lerei 1350—1450
Ein Spätwerk der Ludger tom Ring d. J.
(m. Abb.).10
Dr. Fritz Neugass:
Fragonard-Ausstellung (m. Abb.).11
Gerh. Reinboth:
Der Triumphbogen von Ephesus.11
Nachrichten von überall . . . . 12
Unter Kollegen .. 12

Hirtsiefer, Dr. Höpker-Aschoff, — den Direktor
der Staatlichen Museen, Geheimrat Waetzoldt,
den Reichskunstwarf Dr. Redslob usw. Die
prominentesten Vertreter der Architektur im
weiten Sinne des Wortes fehlten natürlich
nicht. Die Berliner Universität war durch den
Rektor, Geheimrat Reißmann, diie Charlotten-
burger Technische Hochschule durch Prof.

Krencker vertreten. Begrüßungsan-
sprachen hielten der neue Oberbürger-
meister Berlins Dr. S a h m , Reichsminister
Dr. h. c. Stegerwald, der Minister für
Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Dr. h. c.
Steiger, schließlich der Vorsißende des
Vereins Bauausstellung, Baurat Dr.-Ing.
Riepert.

Mit diesen paar Säßen ist umrissen, was
ich grundsäßlich zu sagen habe.
Man ist geneigt, in den Erscheinungs-
formen des neuen Bauens immer nur
einen scheinbar unerhörten Bruch mit
festgefügten Vorstellungen von mehr als
1 % Jahrtausenden zu sehen. Man gibt sich
aber im allgemeinen keine oder zu
wenig Rechenschaft über den gleich großen
Bruch, dem die Gesamtheit menschlicher
Lebensbelange durch die Entwicklung des
vorigen Jahrhunderts unterworfen war. Unter-
läßt man das aber, so führt die einseitige Be-
urteilung des Teilphänomens unweigerlich zu
Trugschlüssen, weil das Gesamtbild der Bau-
tätigkeit schließlich doch der treueste Spiegel
aller bewegenden gesellschaftlichen, geistigen,
finanziellen Belange und sonstiger lebendigen
Kräfte eines Zeitalters ist.
Man muß also schon, um der Entwicklung
der Bauformen als Teilgeschehen näher zu
kommen, dem bedingenden Rahmen, in dem
sie sich vollzieht, einige Aufmerksamkeit zu-
wenden.
Die Bedeutung der Ereignisse wird durch
ein paar Antithesen am anschaulichsten
werden:
Vor 100 Jahren noch reist man im Post-
wagen, der meist ungefedert, häufig ungedeckt

| ist, auf schlechten, bei Regenwefter grund-
losen Straßen; man fährt z. B. von Frankfurt
nach Stuttgart 40 Stunden, von Berlin nach
Breslau vier Tage, von Berlin nach Königsberg
eine Woche. Die Nachrichtenvermittlung ist
gleich umständlich und langsam. — Heute
brauchen wir im D-Zug etwa ein Zehntel der
Zeiten des Postwagens, wir haben Flugzeug,
Auto, Elektrische, Telegraph, Telephon, Radio;
der Kurzwellensender jagt seine Zeichen im
Bruchteil einer Sekunde mehrmals um die
Erde herum. Also eine ungeheure Emanzipa-
tion von Raum und Zeit ist im Zeitraum von
zwei bis drei Generationen erreicht, nachdem
jenes primitivere Stadium Jahrtausende lang
ohne wesentliche Änderungen bestanden hatte.
Dann weiter: Fast die ganze Waren-Pro-
duktion liegt zu Beginn des 19. Jahrhunderts
noch beim Handwerk, dessen Wesen immer
noch die Zunft-Verfassung ist. Die Produk-
tion wird von der Erfahrung der Geschlechter,
also stets von der jeweils älteren Generation
getragen und ist dabei allen Zufälligkeiten des
lebendigen Organismus, des Menschen und
seiner Hände Arbeit unterworfen. Das ist
ihre Stärke und ihre Schwäche — gibt ihr Stil,
Charakter und Form.
Von diesem Zustand führt nun eine ge-
drängte Etappe des Naturerkennens und der
Dienstbarmachung der Naturkräfte in der kur-
zen Spanne von zwei bis drei Generationen
zum Riesenphänomen der T e ch n i k. Die Ma-
schine, nun kein Einzelobjekt mehr, sondern
selbst Serienprodukt, wird zu einem neuen
Prinzip erhoben. Hatten wir dort das Kunst-
verfahren des Meisters, so haben wir hier ein
erlernbares rationelles Verfahren; dort die
Regel, die Erfahrung, die Einzelware, — hier
das Geseß, die mathematische Formel, das
Serienprodukt; dort die menschliche Arbeits-
kraft mit ihren subjektiv formbestimmenden
Zufälligkeiten, — jeßt ihrerseits formbestim-
mend die objektive Exaktheit der Maschine,
unfähig, der Hände Arbeit nachzuahmen. Eine
tausendjährige Organisation bricht jäh in sich
zusammen, — eine neue Welt will aus den
Trümmern entstehen und sucht, zunächst in der
Gründerzeit sehr unbeholfen, ja unehrlich, nach
Form. Wirtschaffsmethoden, Rohstoff- und
Kohlenvorkommen, Vertrustung, das neue
Maschinenprinzip, Rücksichten des Verkehrs
usw. drängen immer größere Menschenmassen
auf engem Boden zusammen: — die Groß-
stadt wird zum Schicksal und Problem.
Und damit tritt auch das Schicksal des
Menschen in dieser Entwicklung an uns heran.
Nicht sein Einzellos, so imponierend oder er-
greifend es auch sein mag: sondern das
Schicksal der Gesamtheit, das bedingt ist
durch zwangsläufig sich durchseßende wirt-
schaftliche Geseße, organisierte Beziehungen
von Mensch zu Mensch, von Mensch zu Werk,
von Mensch zu den ihn umgebenden walten-
den Kräften. Zu diesem Schicksal gehört der
so tragische wie notwendige Gegensaß der
Generationen, den jeder von uns fühlt und der
seine Schaffen selbst über das Familienleben
geworfen hat: — die Jüngeren, vor die Auf-
gabe gestellt, sich eine neue Welt aufzubauen,
waren nur in beschränkterem Maße in der
Lage, ein geistiges Erbe anzutreten. — Im
Sinne dieses Gemeinschicksals stehen wir
auch vor der Tatsache des Überganges vom
Individualismus des liberalen Manchestertums
zum Industrie-Kollektivismus, und
diese Tatsache ist für unsere Befrachtung von
grundlegender Bedeutung.
Von der Tatsache dieses Industrie-Kollek-
tivismus geht zweifelsohne formaler Impuls
aus. Der Begriff wurde aber, da er in partei-
politischen Auseinanderseßungen viel ge- und
mißbraucht wurde, teils auch durch ein etwas
obskures Literatentum allmählich zu einer ganz
verzerrten Vorstellung, die zu entgiften alle
Veranlassung besteht.
Die gemein-bürgerliche Vorstellung neigt
dazu, die neuen Bauformen, Revolution, Bol-
schewismus, Mord, Totschlag, Gesindel und
Kollektivismus in einen Topf zu werfen. —
Was zunächst einmal den Bolschewismus und
das neue Bauen betrifft, so genügt vielleicht
der Hinweis auf die Tatsache, daß die neuen
Bauformen nicht in Rußland, sondern ganz all-
gemein in Mittel-Europa, z. T. in dem nichts

PAUL CASSIRER
GEMÄLDE
ALTER UND NEUER MEISTER
BERLIN W10 • VIKTORIASTRASSE 35


Bau-Ausstellung, Berlin
Abteilung: Wohnungs-Kultur

Die neuen Bauformen
Versuch einer Analyse
Von
Prof. Dr.-Ing. R. v. Schöfer, Aachen

weniger als bolschewistischen Holland ent-
standen sind, und soweit sie bisher in Ruß-
land als Import auftraten, dort höchstens
eklektisch ausgemünzt wurden. — Was den
Kollektivismus betrifft, so möchte man glau-
ben, daß die Vorstellung von ihm alles Auf-
reizende und Beängstigende verlieren müßte,
wenn man sich überlegt, daß ihn das Mittel-
alter, wenn auch in einer anderen Variante,
gut und nicht ohne positiven Erfolg über-
standen hat; — zweitens, daß er ja gar nicht
als irgendein grauenvolles Damoklesschwert
über uns schwebt, weil er schon da ist, schon
da war vor dem Kriege, ohne Revolution, ein-
fach durch den Zwang der Entwicklung;
und drittens; daß er ja gar nicht mehr Prä-
rogative irgendeines Standes, also etwa der
Arbeiterschaft ist. Denn der Industrie-Kollek-
tivismus äußert sich ja nicht nur im zunehmen-
den Synoikismus von Arbeitern und Bürgern,
in der gewerkschaftlichen Organisation der
Interessenvertretung, in der wirtschaftlichen
Selbsthilfe der Konsumgenossenschaften us#-,
sondern auf der anderen Seite ebenso in dem
Zusammenschluß der Arbeitgeberschaft, in den
Aktiengesellschaften, Trusten und Konzernen,
er äußert sich schließlich im Tarifvertrag, der
beiderseits ein kollektiver Vertrag ist, — alles
Erscheinungen, die das Ende der selbstherr-
lichen Persönlichkeit und das Vordringen des
Gemeinschaftsbegriffes anzeigen. — Unter-
stellt man also, daß diese Entwicklung ohne
Revolution, nur durch Evolution (was für
Deutschland durchaus das Gegebene ist) all'
mählich weitergehf, — und subtrahiert man
von der landesüblichen Vorstellung alles, was
willkürlich, von außen an den Begriff heran-
gebracht wurde und nicht zu seinem Wesen
gehört, dann verbleibt als sachlich verwert-
barer Rest nur folgendes: — erstens, daß
Kollektivismus weiter nichts ist, als ein gesell-
schaftliches Organisationsprinzip, das auf der
Gemeinschaft aufgebaut ist und sich in hohem
Maße bereits durchgeseßt hat; — zweitens,
daß in dieser Gesellschaftsform Begriff und
Rolle der „Persönlichkeit“ insofern verschoben
sind, als ihr wohl keine Möglichkeit eines
hemmungslosen Hinwegseßens über die Ge'
meinschaft mehr gegeben ist, sie sich aber
dennoch in deren Dienste auszuleben vermag;
— drittens, daß auch eine kollektiv organi-
sierte Gesellschaft doch wohl ein additives
Gefüge, mit zumindest sehr verschiedenen
Vertikalschnitten zeigen wird, und die Frei-
heit bestehen bleibt, den jeweils angemessen-
sten ins Auge zu fassen. — In diesem Sinne,
dem alle Sensation genommen scheint, und
der natürlich in allen seinen Teilen einer idea-
listischen oder christlichen Weltanschauung
eingefügt werden kann, ist allerdings der In-
dustriekollektivismus da und wird der Mensch-
heit und ihren Lebensäußerungen in zu-
nehmendem Maße Haltung geben. Dieser Tat-
sache gegenüber scheint uns keine Freiheit
belassen zu sein, sie zu wollen oder abzu-
lehnen. Wir haben nur die Wahl, uns ent-
weder abseits vom Leben zu stellen, — oder,
wenn wir das nicht wollen, zu den Tatsachen
irgendwie positive Beziehungen zu gewinnen
und an der Formung ihres kulturellen Gehaltes
und ihres geistigen Ausdruckes mitzuarbeiten-
Damit ist uns die Möglichkeit des Über-
ganges zum Gegenständlichen, nämlich zu den
Bauformen gegeben. Denn die geschil-
derte, auf Gemeinschaft gerichtete geistige
Haltung hat, ebenso wie etwa das individuali-
stische Welfgefühl der Renaissance, ihre
ganz konkreten Einflüsse auf die Bauformen-
Zunächst einmal am augenfälligsten im Woh-
nungsbau, in dem die Versäumnisse der Vor-
kriegszeit nachgeholt und die Lücken der
Kriegs- und Nachkriegsjahre gefüllt werden
mußten, und zwar ganz überwiegend durch
Kleinwohnungen. Hier tritt die Einheit al5
Element der Serie auf, und diese ist „eine <Je'
schlossene Ganzheit unter sich wesensgleicher
Stücke. Nach seiner formalen Seite bedeute*
das: Reihe" (natürlich horizontale Reihe) „al5
Ganzes, Kongruenz als Menge“*). Nach sein-er
wirtschaftlichen und praktischen Seite bedeu-
tet es Verbilligung und Beschleunigung del
Herstellung. Als Produkt einer technisch-
wirtschaftlichen Überlegung aber bedeute*
Serie ,;Normung", — ein neuer Begriff, keine
eigentlich neue Tatsache. Denn die Normunfl
ist seit Urzeiten für Gegenstände des Ge'
brauchs, vor allem auch für Bautypen da, die
für Bauern- und Bürgerhäuser bekannt sind-
Der Unterschied ist aber der, daß die 0e'
normte Form bis ins 19. Jahrhundert aus eine*
tausendjährigen, allmählich und unbewußt sic*1
entwickelnden Erfahrung entstanden ist und
handwerksmäßige Zufälligkeiten zeigt, wäh-
rend die Formen unserer technischen Nornüe'
rung das exakte Resultat bewußter, systerna'
tischer Berechnung sind. Auf diesem Wefle
wird aber in unseren Wohngegenden wieder
ein Element ästhetischer Natur bestimmen11
werden, das leßten Endes die Vorausseßunfl
für die geschlossene, erfreuliche Wirkung al*er
Ortschaftbilder war und nur durch die Übel'
Individualisierung des Wohnungsbaues ver-
kümmert ist: — das Prinzip der Wiederholend
gleicher geometrischer Formen. ,
Natürlich wird der Geist der Gemeinscha*
nicht nur die Form des Wohnungsbaues beein'
flussen. Er seßt sich zunächst in Schulbau*e[1
und Krankenhäusern durch und wird den Bau"
formen der Zeit ganz allgemein eine No*e
geben, die als wesentliches Element des Zei*'
stils in Erscheinung treten wird. Insbesondere
wird diese Zeit keinen Bedarf an Ausdruck5
mitteln irgendeiner repräsentativen Haltunfl
haben; denn die Gemeinschaft könnte ihre^ ■
Sinne nach schließlich nur sich selbst rePra'
*) R. Schwarz: Wegweisung der Technik.



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