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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 5.1931

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Nr. 22 (31. Mai)
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2

DIE WELTKUNST

Jahrg. V, Nr. 22 vom 31. Mai 1931

vielen Beispiele, bei denen die Astrologie der
reinen Generationsbeziehungen versagt. Wenn
Corots Wesen — in Wahrheit so wenig in be-
griffliche Formeln einzufangen wie die Natur
selbst — durchaus mit einem Schlagwort ge-
faxt werden soll, scheint klassisch eine
bessere Kategorie als romantisch. Corots
Werk steht da ohne Programm, ohne Proble-
matik, vollendet wie die Welt am lebten
Schöpfungstage. Nach der literarischen Pa-
rallelerscheinung suchend, kommen wir über
die Romantik hinaus direkt zu Goethe und
müssen uns pur mühen, die schlichte Gestalt
des Pere Corot nicht durch die übermächtige
Nachbarschaft zu bedrücken. Es ist — wenn
wir es vorsichtig wenden — in der sachlich
treu berichtenden, geheim dichterischen Dar-
stellung Italiens in Corots Frühwerken etwas
von Goefheschem Geist, ebenso in seinem
elementarischen Beleben des Alls mit gleich-
sam realen Naturwesen. Und keine kunstvolle
Definition vermag Corots Art so glücklich zu
bezeichnen, wie der Wunschsais Goethes:
„Die Klarheit der Ansicht, die Heiterkeit der
Aufnahme, die Leichtigkeit der Mitteilung, das
ist es, was uns entzückt.“ Es ist danach viel-
leicht froß allem kein Zufall, wenn uns gerade
zu Corot, der in seiner problemlosen Har-
monie dem deutschen Kunstwollen des frühe-
ren 19. Jahrhunderts am wenigsten zu ent-
sprechen scheint, in Deutschland eine Reihe
von Parallelen begegnen — Goethesche Remi-
niszenzen, in der bildenden Kunst sonst als
literarisch klassizistisch gefürchtet, mögen sich
in dieser glücklicheren Form versteckt erhalten
haben. Von deutscher Produktion kommen
insonderheit den frühen Landschaften Corots
erstaunlich nahe: der Münchener Rottmann,
der Berliner Blechen, von kleineren Gestalten
Horny, Rohden, Schirmer.
Die historische Treue gebietet, zu berichten,
daß den Zeitgenossen keineswegs Corot als
die schlechthin zentrale Figur der „Schule von
1830“, der Gruppe der sogenannten Barbizon-
meister erschien; sie legten Th. Rousseau, vor
allem J. F. Millet zum mindesten gleiche Be-
deutung bei. Leichter als Corot lassen sich
diese Erscheinungen der Romantik eingliedern:
Rousseau schon in seiner rückwärts ge-
wandten Tendenz, als großer Nachfahr Jacob
Ruisdaels; Millet durch seine Art, die Figuren
als fördernde Stimmungsmomente der Land-
schaft anzugleichen, geradezu im Gefolge des
Friedrichskreises. Auch zu den Barbizon-
meistern sind deutsche Parallelen zu finden;
ich denke wieder an Blechen, an den jungen
Spißweg.
Es mag befremden, ein paar augenschein-
liche Außenseiter in der Schau vertreten zu
finden: den Revolutionär Daumier, den Rea-
listen Menzel. Doch erweist sich bei näherem
Überlegen der Oberbegriff der Romantik in
beiden Fällen minder bedenklich als er dem
ersten Blick erscheinen mag. Von Delacroix
zu Daumier gibt es ein gleichsam verbindendes
Glied in Gericault. Die Mischung des Dämo-
nischen mit klarer objektiver Zeitsafire in
Daumier ist ein durchaus romantisches Motiv,

Inhalt Nr. 22
Dr. Grete Ring:
Romantische Malerei in Deutschland und

Frankreich . 1/3
Prof. Dr. V. C. Habicht (Hannover):
Die neuentdeckten Fresken von Idensen (m.
2 Abb.). 2
H. Ginzel (Köln):
Der deutsche Künstlerbund in Essen ... 3, 8
L. F. Fuchs (München):
Khmer- und siamesische Plastiken (m. 2 Abb.) 3
Auktionsvorberichte (m. 3 Abb.) ...... 4
Auktionsnachberichte (m. Abb.) ...... 4, 7
Auktions-Kalender . 5
Preisberichte — Kunst im Rundfunk. 6
Ausstellungs-Kalender. 7
Literatur . 7
Dr. A. Bessmertny:
Robinson Crusoe u. d. Robinsonaden (m. Abb.) 8
Ausstellungen (m. 4. Abb.) ........ 8/9
Triennale — 0. Mueller — R. Grossmann —
Berard
Nachrichten von überall — Unter Kollegen 10

Die neuentdeckten Fresken von Idensen
Von

Prof. Dr. V. C. Habicht

Durch die Initiative des Professors an der
Technischen Hochschule Hannover, Dr. Fr.
Fischer, und unter seiner sachgemäßen
Anleitung sind neuerdings hochbedeutende
Wandmalereien in der Kirche zu Idensen-
Wunstorf durch den Maler Wildt freigelegt
worden. Während seither nur die gelegent-
lich einer Restaurierung der Kirche (1889/90)
durch K. W. Haase entdeckten Wandmalereien
des nördlichen Flügels des Querschiffs be-
kannt waren, die eine Einführung in die
Wissenschaft durch H. Schmitz: Die mittel-
alterliche Malerei in Soest, Münster 1906,

wenn sie auch ein Unikum darstellt — wie
Dehio sagt — und durch ungewöhnliche archi-
tektonische Formen auffällt. Aus hier nicht
weiter zu erörternden Gründen ist anzu-
nehmen, daß die Malereien um 1130 angefer-
tigt worden sind.
Ich werde es an anderer Stelle ausführ-
licher zu begründen versuchen, daß die Male-
reien stilistisch zwischen den um 1100 ge-
schaffenen Arbeiten des Rogkerus von Hel-
marshausen und den um 1170 entstandenen
Miniaturen des Helmarshausener Mönches
Herimian stehen, d. h. in diesen Kreis gehören

des neunzehnten Jahrhunderts“, so haben wir
hier endlich ein Beispiel, das troß einzelner
Beschädigungen mancher Szenen und Teile
wirklich dokumentarischen Wert besißt und
einen vollkommenen Eindruck auch der far'
bigen, ursprünglichen Wirkung vermittelt.
Die sehr gelungene und verdienstvolle
Aufdeckung läßt die berechtigte Hoffnung zu,
daß die Arbeiten zu Ende geführt werden,
d. h. versucht wird, die vermutlich unter der
Übertünchung sißenden Malereien auch im
Langhaus sämtlich freizulegen, alle Teile sach'
gemäß zu konservieren und die Kirche, die an
sich, aber vor allem auch durch diese Zyklen
ein Juwel ersten Ranges innerhalb der
europäischen Kunst darstellt, in einen wür'
digen Zustand zu seßen.
Unter den neuerdings freigelegten Szenen
und Figuren ragen besonders hervor: eine
symbolische Taufhandlung im Vierungs"
gewölbe (Abbildung unten), Brustbilder von
weiblichen Heiligen im Vorchor (siehe Ab'


Taufhandlung (Detail)
Bapteme — Baptisme
Fresko in der Kirche zu Idensen

Eine der u ooo Jungfrauen
Une vierge One of the ii ooo virgins
Fresko in der Kirche zu Idensen

S. 11 ff. gefunden haben, sind nun die im
Vierungsgewölbe, in der Apsis und im süd-
lichen Flügel des Querschiffs vorhanden ge-
wesenen Fresken sämtlich von der Über-
tünchung befreit, so daß uns also nun die
ganze Ausmalung der Ostseite der Kirche
wiedergeschenkt ist. Die außerordentliche
Bedeutung der wiedergefundenen Werke be-
ruht zunächst auf dem Alter, wovon noch zu
sprechen ist, ferner in der ausgezeichneten
Erhaltung der offenbar nie übergangenen, in
den obersten Schichten also vollkommen
originalen Malereien und schließlich in dem
ungewöhnlich hochstehenden künstlerischen
Rang der Arbeiten.
Die Kirche in Idensen ist von dem Bischof
Siegward von Minden, der 1120—1140 regiert
hat, als Grabeskirche errichtet worden. Nach
der glaubhaften Mindener Bischofschronik ist
Bischof Siegward auch inmitten der Kirche
bestattet worden. Es besteht gar kein Grund,
zu bezweifeln, daß die stehende, einschiffige
Kirche die von Bischof Siegward errichtete ist,

das in der Dichtkunst über Brentano, E. T. A.
Hoffmann bis zu Immermann und Heine klingt.
Der Name E. T. A. Hoffmann schlägt die ro-
mantische Brücke zu Menzel, der an dieser
Stelle, nicht wie meist zu Unrecht beim deut-
schen Realismus, oder gar bei Meissonier, an-
zuschließen ist; er selbst schon als Gestalt von
Hoffmannscher Erfindung, der Gnomenkönig
mit dem Bande des schwarzen Adlers, in
seinem Hang zum Seltenen und Seltsamen,
den bürgerliche Elemente skurril durchseßen,
ganz in der Linie der deutschen Spätromantik.

und darnach höchstwahrscheinlich von Hel-
marshausener Klerikern angefertigt
worden sind. Die 1112 in Corvey ausgeführten
Fresken sind ja leider nicht erhalten und von
den um 1150 in der Vorhalle des Hildesheimer
Domes ausgeführten Wandmalereien haben
wir auch nur eine unvollkommene Vorstellung.
Aber die Zyklen in Idensen bereichern nicht
nur in hochwillkommener Weise unsere Vor-
stellung von der niedersächsischen Wand-
malerei dieser „dunklen“ Zeit. Sie sind, vor
allem ihres authentischen, vorzüglichen Zu-
standes wegen, auch sehr geeignet, höchst
empfindliche Lücken in der gesamtdeutschen,
ja europäischen Wandmalerei dieser Epoche
zu schließen. Wenn Karlinger *) bezüglich der
romanischen Wandmalerei mit großem Recht
beklagt, „daß das etwa Vorhandene zum aller-
größten Teil das Wesen verfälscht durch leere,
weichliche, naturalistisch-sinnlose Retuschen
*) Vgl. H. Karlinger: Die Malerei, in
M. Hau tt mann: „Die Kunst des frühen Mittel-
alters“, Berlin 1929, S. 129.

Delacroix, Corot und die Barbizonmeister,
Friedrich und die Nazarener, Menzel und Dau-
mier fügen sich — bei allen äußeren und inne-
ren Divergenzen — mühelos zur Einheit, so-
bald der wirkliche Gegenspieler auftritf:
Gustave Courbet. Auch Courbet hat ein Pro-
gramm, doch ist es das Programm der Un-
geistigkeit, der Unbildung. Verzicht auf die
Errungenschaften der Tradition, der humanen
Gesittung, rücksichtsloses Losgehen auf die
Natur, die unerbittlich gepackt und mit hartem
Griff bezwungen werden soll: das ist es, was

I bildung), Darstellungen der Arche Noah und
I der Geißelung im südlichen Querhausflüge'
und die Halbfigur Christi als Weltrichter
in der Apsis.
Die fraglos — auch ikonographisch — vor'
handenen Zusammenhänge mit der byzanti'
raschen Malerei sind wohl kaum als direkte
anzusehen. Wie wir aus anderen Fälle'1
wissen, lagen sog. Musterbücher vor, und daS
ist auch für die Fresken in Idensen anzu'
nehmen. Die darin enthaltenen exempla wer'
den schon eine weitgehende, formale Um'
prägung der byzantinischen Vorlagen vor'
genommen haben. Bei den Idenser Wandmaie'
reien treten diese Umwandlungen in hoch5*
charaktervollen Typenprägungen — wie def
Petri etwa —, und derberen und z. T. hefW
bewegten Figurendarstellungen hervor. Ab^
von der folgenden Stilsfufe unterscheiden sictl
die Fresken in Idensen vor allem durch die
rein malerischen Ausdruckswerte, die ’f1
übrigen als eine äußerst gepflegte Spätsfu>e
fast überentwickelter Formkreise erscheine*1. * *

ihm vorschwebt. Daß die französische Tradi'
tion eines edlen Malwerks, daß selbst manche5
aus der Kunst der Alfen sich unwillkürlich !n
Courbets Werk einschleicht, hat mit der Radi'
kalitäf der Absicht nichts zu tun.
Keine Forderung des Couribefschen. „Nah*'
ralismus“ war dringender, als die strenfl^
Wahrung der Grenzen zwischen Poesie
Malerei, das Meiden des Literarischen, de5
„Romantischen“. Lehre und Beispiel der mach'
tigen Gestalt Courbet wurden bestimmend fj*r
das weitere 19. Jahrhundert, in Frankreich W*e

GEGRÜNDET 1806

GALERIE E.A. FLEISCHMANN

GEGRÜNDET 180^

MÜNCHEN • MAXIMILIANSTRASSE1


VERSTEIGERUNGEN AM 9. u. 10. JUNI 1931
SAMMLUNG
Dr. MAX EMDEN-HAMBURG
Deutsche und französische Gemälde des 19. Jahrhunderts
Deutsche Fayencen / Deutsches Silber / Gläser
SAMMLUNG
WILLY H. STREIT-HAMBURG
Gemälde französischer Meister des 19. und 20. Jahrhunderts
Besichtigung :
Mittwoch, den 3. Juni 1931 bis Sonnabend, den 6. Juni 1931
von 10 bis 18 Uhr
Montag, den 8. Juni 1931, von 10 bis 14 Uhr
HERMANN BALL/PAUL GRAUPE
BERLIN W10•TIERGARTENSTRASSE 4
 
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