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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 5.1931

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Nr. 31 (2. August)
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DIE WELT KUNST

3






Altportugiesische Kunst

nun

nach


GEGRÜNDET 1806

^GRÜNDET 1806

sich
eine

die
haben
Fülle von
Kulturauf-

dann
der

in portugiesi-
Das Zeitalter
Lande einen
daß die Füjle
den einheimi-

Dienste der
Kunst,

Auch
können
Zwecken
esen
vom

Antwerpen oder im vlämischen Meistersaal
des Deutschen Museums zu befinden. Der
erste Eindruck ist frappierend. Man ist ver-
sucht, die ganze Reihe der alten Meister von

auch schon ihr Gegenspiel in einer neuen
Romantik des Irrationalen gefunden, die
im Geist, richtiger in der „ratio", den töd-
lichen Widersacher der Seele, des Irrationalen,
erblickt. (Klages und sein Kreis.) So steht
heute Behauptung gegen Behauptung: beide
Theorien sehen das Leben der geschichtlichen
Entwicklung nur von einer Seite her, statt es
als die ständige, spannungsreiche und schöpfe-
rische Auseinanderseßung rationaler und
irrationaler, mechanischer und organischer
Kräfte zu begreifen. In diesem Spiel der
Kräfte aber ist der Malerei heute wie immer
die große Aufgabe gestellt, die Auseinander-
seßung von Ich und Welt in der Ebene der
sichtbaren Gestaltung in immer neuen Ver-
wirklichungen zu vollziehen.

Formkräfte, die
wieder
sichtbaren Ge-
drängen.
Kräfte

es
um
Abbildung
Es

die vorwiegend mechanische Arbeitsweise
enge Grenzen gezogen hat. Die Photographie
wird stets in erster Linie Reproduktion und
Mittel zum Zweck bleiben. Aber die Malerei
zu ersehen — das wird ihr ebensowenig ge-
lingen, wie es früheren, ähnlichen Zwecken
dienenden Techniken wie Holzschnitt, Kupfer-
stich, Schabkunst, Lithographie usw. ge-
lungen ist.
Der Glaube an die unaufhaltsam fort-
schreitende Rationalisierung und Tech-
nisierung unseres gesamten materiellen und
geistigen Daseins ist im Grunde nur eine neue
Fassung des liberal-positivistischen, bürger-
lichen Fortschrittsglaubens des 19. Jahr-
hunderts. Diese romantische Verabsolutie-
rung des Technisch-Rationalen hat denn heute

Reliquien-Kreuz. Maas-Schule, i. Hälfte 13. Jahrhundert
Croix reliquaire. Travail des bords de la Meuse, XIHe siecle
H. 26 cm — Collection A. Rütschi, Zürich — Kat. Nr. 53
Versteigerung — Vente — Sale:
Galerie Fischer, Luzern, 5. September 1931

wahrscheinlich, wenn
Malerei ausschließlich
möglichst objektive
sichtbaren Umwelt handelte.

einer Architektur von
die eben nur auf dem
Boden rationaler
Zwecke und praktischer
Aufgaben erwachsen
konnte, eine reich dif-
ferenzierte Fülle male-
rischer (und plastischer)
Begabungen wuchert,
in deren Werken sich
jener irrationale Ge-
sialtungswilie sichtbar
verwirklicht. Schon
diese Tatsache — daß
heute die junge Künst-
lergeneration allen bit-
teren wirtschaftlichen
Nöten zum Troß einfach
weiterarbeitet — läßt
die Frage nach der kul-
turellen Bedeutung der
Malerei selbst als frag-
würdig erscheinen.
Bejahen wir
aber die innere Be-
rechtigung irrationaler
Gestaltung als das not-
wendige Korrelat zur
technisch-rationalen —
die, wie gerade die
jüngste Baukunst be-
weist, aus der irratio-
nalen immer wieder
entscheidende An-
regungen holt so wird uns auch die
These vom Siegeszug der technischen
Künste bedenklich erscheinen. Daß die
Photographie die legitime Erbin der mit „ver-
alteten Mitteln arbeitenden" Malerei sei, wäre
nur
bei
einfache,
unserer ...
braucht hier nicht ausgeführt zu werden,
daß davon keine Rede sein kann. Vor
allem verkennen aber die Vertreter dieser
Theorie den grundlegenden Unterschied
zwischen organischer und mechanischer Ge-
staltung, der mit dem oben genannten Gegen-
saß von irrationaler und rationaler Gestaltung
aufs engste zusammenhängt. Die konsequente
Mechanisierung und Technisierung der Formen
ist auf allen Gebieten des künstlerischen
Schaffens durchaus am Plaße, die im Dienste
der praktischen Lebensgestaltung stehen. Der
Prozeß der Rationalisierung und Typisie-
rung in der Baukunst
und einem Teil der
Werkkunst unserer Zeit
ist ein durchaus nor-
maler Vorgang, weil er
den praktischen zivili¬
satorischen Bedürfnis-
sen unserer Zeit ent¬
spricht. Diese sich
ständig vervollkomm-
nende Welf des Tech¬
nisch-Rationalen ent-
wickelt sich aber nicht
aus der Welt des h ra¬
tionalen, sondern ist in
diese gleichsam einge¬
bettet. Aus diesem
Boden des Irrationalen

bar, da heute neben
strengster Stilreinheit,

Im Muse« du Jeu de Paume in Paris
zeigt man eben eine Ausstellung portugiesi-
scher Kunst seit der Epoche der großen Ent-
deckungen bis zum 20. Jahrhundert. Doch von
wirklicher Bedeutung
ist nur das Jahrhundert
von 1450-1550. Alles
andere ist mehr oder
weniger qualitätsvolle
Provinzkunst, mit wech-
selnden Einflüssen der
VTamen, Italiener, Eng-
länder und Franzosen.
Die portugiesische
Regierung wollte mit
dieser Ausstellung die
einstige Macht und den
einstigen Ruhm ihres
kleinen Landes herauf-
beschwören und wollte
beweisen, wie sie die
ganze Welt mit ihrer
Kunst und ihrer Kultur
befruchtet hat. Dr.
Jose de Fi g u e i r e d o,
der Hauptkonservator
des Nationalmuseums
für alte Kunst in Lissa¬
bon, hat die Pariser
Ausstellung vorbereitet;
er hat auch den vor-
züglich dokumentierten
und illustrierten Kata-
log verfaßt, in dem
sich herrlich die Unab-
hängigkeit, die Schöp-
ferkraft und Originali¬
tät der Portugiesen
widerspiegelt.
Wenn man aber die Ausstellung durchwan-
dert, glaubt man sich bei oberflächlicher Be-
frachtung in einem Museum in Brügge oder

Gregorio Lopes, Altarbild aus der Muttergotteskirche
in Lissabon. 1517—23
Autel de l’Eglise Nötre Dame ä Lisbonne. 1517—23
Altar from the Church of the Virgin at Lisbon. 1517—23
Ausstellung altportugiesischer Kunst
Paris, Musite Jeu de Paume
den Van Eycks über Patinir und Roger van
der Weyden bis zu Quentin Metsys, van Orley
und selbst Dürer darin zu erkennen. Fast alle
Meister Portugals haben ihre Lehrjahre in
Flandern verbracht und fast alle flandrischen
Meister haben zur Blütezeit Portugals um die
Wende des 15. Jahrhunderts
sehen Werkstätten gearbeitet,
der Entdeckungen hat dem
solchen Aufschwung gebracht,
der Aufträge nicht allein von
sehen Künstlern bewältigt werden konnte und
sie deshalb die größten flämischen Meister
zur Mitarbeit heranziehen mußten.
Doch eines unterscheidet die portugiesische
Malerei von den Künstlern des Nordens: sie
hatten eine andere Technik. Die großen
Tafelbilder, die Altäre des Nuno Gongalves,
dessen Schaffen von 1450 bis 1471 nachge-
wiesen ist, zeigen wohlgeglättete Holztafeln,
auf welche ohne besonderen Malgrund direkt
die Farbe aufgetragen wurde. Die Malerei
wirkt daher härter und eindringlicher und ist
zugleich solider, da sie nicht — wie bei den
Tafelbildern mit Kreidegrund — abblättern
kann (Abbildung Seite 8).
Typischer und eigenartiger ist ein Jil. Seba-
stian (2. H. 15. Jh.l, der ohne Pfeile dargestellt
ist, in stumpfen Farben, ein weiß-grauer Kör-
per vor grünem Grund; die eckige Silhouette
des Sebastian zeugt von einem rein gotischen
Stilgefühl, das mit den italienischen Darstel-
lungen des gleichen Themas und der gleichen
Zeit nichts gemein hat.
Eine seltsame Mischung von italienischen
und nordischen Stilelementen gewahrt man im
2. Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts bei den Wer-
ken des Gregorio Lopes (Abbildung oben),
des Hofmalers Don Manuels und Johanns 111.
Sein Altar des Martyriums der 11 000 Jung-
frauen und der hl. Ursula zeigt ein in der
deutschen Kunst bevorzugtes Motiv.
Die „Grablegung“ von Christovao de
Figueiredo (1. V. 16. Jh.) ist erfüllt von einem
plastischen Realismus und einer psychologi-
schen Eindringlichkeit, die ganz das Pathos
eines Roger van der Weyden widerspiegeln.
Die spätere portugiesische Malerei erschöpft
sich in Anregungen von außen. Der Maler-
mönch Carlos Frei verrät schon durch seinen
Namen seine nordische Herkunft; und seine
Bilder zeigen eine Mischung von italienischen
Einflüssen und besonders von Quentin Metsys.
Von 1768—1832 lebte Antonio Sequeira. Er
(Fortsetzung auf Seite 7)

Einband einer Sakramentar-Handschrift. Ravenna, um 1050
Reliure d’un manuscript de Ravenne. Travail byzantin, vers 1050
Binding of a Ravenna manuscript, about 1050
H. 24 cm, B. 17,5 cm — Collection A. Rütschi, Zürich — Kat. Nr. 59
Versteigerung — Vente — Sale: Galerie Fischer, Luzern, 5. September 1931

^kger nach bildender Kunst herrscht, der oft
r aus rein materiellen Gründen nicht gestillt
^^'den kann. Es ist daher zu erwarten, daß
einer Besserung der wirtschaftlichen Ver-
^dfnisse sich auch die materiellen Aussichten
bildenden Kunst und vor allem der Malerei
’!eder günstiger gestalten.
.Völlig abwegig erscheint uns die Herab-
» »Ung der heutigen Malerei zugunsten der
r r c h i t e k f u r. Zweifellos hat unsere Bau-
büst _ nach einer langen Periode des
gehens und Experimentierens — heute im
leUste festumrissener, praktischer Aufgaben
f’d in einer weitgehenden Verschmelzung mit

quellen die künstleri-
schen ” ’ j:'*
immer
einer
stalt
diese
praktischen
dienen, aber ihr W<
kann niemals
Zweck, von der ratio
her erfaßt werden. Das
gilt für die Malerei
nicht weniger als für
die Skulptur, für die
Musik nicht weniger als
für die Dichtkunst.
Die neuen mechani-
schen Künste und nicht
zum wenigsten die
Photographie,
heute eine
wichtigen
gaben zu erfüllen, so
etwa im Di?—*“ U'”-
angewandten
der bildlichen Repor-
tage, der Reproduk-
tion von Werken bil-
dender Kunst u. dergl.
Es sind nun sehr bald
künstlerische Elemente
in die mechanische Ge-
staltung eingedrungen.
So hat z. B. die Photo-
graphie einen eigenen,
reizvollen Dialekt aus-
gebildet, dem freilich

GALERIE E.A. FLEISCHMANN
MÜNCHEN • MAXIMILIANSTRASSE 1

1 Technik ihren Stil gefunden, der zugleich
jj?,erer e‘n klares, eindeutiges Gepräge
Aber es darf doch auch nicht verkannt
Ij^r'den, daß eine Periode einer allgemeinen
I kigestalfung und eines Neubaus der gesam-
v n Kultur wie die unsere die Baukunst auch
|,°r ganz neue, dankbare Aufgaben größten
.Wangs gestellt und damit ihren Aufstieg er-
möglicht hat. Die großartigen Leistungen der
vü,|gsfen Baukunst sollen hier in keiner Weise
l^kleinert werden — aber was sie geschaffen
Ä ist doch erst der Rahmen, das Gefäß einer
^fNen Kultur, einer neuen Kunst. Die zeit-
t| e'üg heftig diskutierte Frage, ob unsere
|>e.Ueu „sachlichen“ Räume überhaupt noch
l'.'rr er vertrügen, ist schon deshalb längst er-
jj aigf, weil gerade die schlichten Formen heu-
9 er Baukunst den darstellenden Künsten
( ue, ungeahnte Wirkungsmöglichkeiten bie-
Wie unvergleichlich stark ist die Wirkung
Lnes Bildes von Kokoschka auf einer schlich-
^-9. von keinerlei Ornament beschwerten Wand
u^-es modernen Innenraumes, wie herrlich
l^ut eine Figur von Kolbe in einem gleichsam
[j°rPerlosen Raum von Mies van der Rohe!
koppelt stark, doppelt herrlich gerade des-
j^'b, wej] zwischen- Wand und Bild, zwischen
>Qüm und Plastik in diesem Falle keine
^ßere, formale Verwandtschaft mehr besteht,
die Architektur ganz Architektur, das
S d ganz Bild, die Plastik ganz Plastik ist.
fordert die heutige Baukunst Malerei und
lusfik — nicht als „Schmuck", nicht als
^ekoratives Teilglied", sondern als das not-
'Tdige Widerspiel ihrer selbst. Man spricht
i5ufe gern von den dialektischen Spannungen
(. ö Gegensäßen, die unser gegenwärtiges
listiges Dasein durchwalfen: eine solche
e. Dännung ist heute auch zwischen Architektur
f^erseits, Malerei und Plastik andererseits
^ülbar, aber nicht im Sinne eines sinnlosen
j^seinanderfallens, sondern einer fruchtbaren,
jhnvollen Auseinanderseßung. Nicht das de-
fative, alles verschmelzende Ensemble, son-
firn der Zusamm-enklang kontrastierender
Wente wird heute als Harmonie empfunden,
y Diesen dialektischen Charakter aller Enf-
i^klung- verkennt auch jene Anschauung, die
r den Umwälzungen unserer Tage die Ge-
L.1’!' -eines neuen „Kollektivismus“ er-
L!cl't, der die „individualistische Kultur des
ärgerlichen Liberalismus“ ablösen soll, womit
jqVJn auch die Malerei als eine ausgesprochen
^dividualistische Kunst dem Untergange ge-
ke,ht sei. Diese Theorie ist eine geradezu
kMliche Vereinfachung des komplizierten
j^Wicklungsganges unserer Kultur. Zunächst
f. f die bürgerliche Kultur des 19. Jahrhunderts
s'"ir keine eindeutig individualistische gewesen,
war vielmehr von stärksten kollektiven
jj"{düngen aller Art durchseßt. Einer der
lösten Geschichtsdeufer unserer Tage, Ernst
Kel> hat dieses Jahrhundert geradezu als eine
(j"°che der Bindung und der vereinheitlichen-
q h Organisation bezeichnet. Und ebenso
s ®den heute — wenn auch in ständig wech-
Uvden Formen! - individualistische und
Jlektivisfische Bewegungen ineinander. Die
Qj/dgabe unserer Zeit ist nicht die Umwandlung
lisj.er — gar nicht vorhandenen — in-dividua-
tf.‘•sehen Kultur in eine kollektivistische, son-
drjrt1 die gegenseitige Befruchtung und Durch-
ß’^gun-g beider Mächte, die allein Leben -und
Wicklung zu erzeugen vermag.
tif) ^uch durch die Künste geht heute vielleicht
|C|(;U mehr als früher der Gegensaß von kol-
'uver und individueller Gestaltung: auch

hier freilich nur ein bedingter, kein unbedingter
Gegensaß. Auf der Seife des Kollektivismus
stehen vor allem die zweckgebundenen, tech-
nisch-rationalen Künste wie Architektur und
viele Zweige der Werkkunst, auf der Seite
des Individualismus steht alle leßthin auto-
nome, zweckfreie, irrationale Gestaltung.
Architektur drängt immer wieder zur über-
personalen Einheit, zum Stil, — Malerei und
Plastik suchen- ihre Erfüllung in der personalen
Schöpfung. Auch hier wird wieder die große,
fruchtbare Spannung unseres Daseins sicht-
’ ■- X—
 
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