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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Hamann, Richard: Das Wesen des Plastischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0007
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DAS WESEN DES PLASTISCHEN.

anderen Organen als dem Auge diese Welt uns zu eigen machten.
Die Physik macht zur Eigenschaft des Körpers die Undurchdringlichkeit,
sie unterscheidet damit den Körper vom Raum, der durchdringlich ist,
das Volle vom Leeren. Für den Anblick aber ist durchsichtiges Glas
etwas Durchdringliches, und wäre etwas Körperloses, eine Leere, wenn
diese Bestimmungen vom Auge getroffen würden. In den meisten
Fällen, wo zwischen einem nahen Fensterkreuz und einer fernen Wand
eine Leere sich befindet, würde das Auge gar nichts darüber ausmachen
können, denn unmittelbar neben dem Hell und Dunkel des Fenster-
kreuzes sieht es die Flecken und Flächen der Hauswand. Dagegen
erleben wir das Volle und das Leere, sobald wir anfangen uns zu be-
Wegen, und diese Bewegung als ausführbar oder gehemmt in Willens-
anstrengungen und körperlichen (Muskel-, Gelenk- und Bewegungs-)
Empfindungen fühlen. Wo die Bewegung gehemmt ist und diese
Hemmung gefühlt wird als Ausbleiben erwarteter motorischer Erleb-
nisse, als erneute und fruchtlose Willensanstrengung und als Gefühl
zunehmenden Druckes oder Schmerzes auf der Haut und in den Ge-
lenken, dort ist das Volle, ist Körper vorhanden. Das Gefühl des
Druckes (der Schwere und der Unnachgiebigkeit) ist für das Wahr-
nehmen eines Körpers Grundbedingung, je fester und undurchdring-
licher, umso körperhafter. Je nachgiebiger, durchdringlicher, umso
körperloser. Luft, Wasser, weicher Ton und gebauschte Watte sind
körperloser als Stein und Metall, und wir erklären uns diese Körper-
losigkeit so, daß hier Volles mit dem Leeren gemischt ist, daß Zwi-
schenräume zwischen der Materie sich befinden. Eine Kunst oder ein
ahrnehmungsbedürfnis, das sich auf Körper richtet, wird dem Granit

nurnPhe bereiten, wie die ägyptische Kunst Granit und Basalt be-
vorzugt.

Körper sehen heißt nun, sich bei einem gegebenen Anblick an
Möglichkeit von Bewegungshemmung, von Undurchdringlichkeit
ern lassen. Infolge langer Erfahrungen, die darin bestanden, die
hl" k W'^licn zu tasten oder ins Leere zu greifen, haftet den An-
9 n ein m der Erinnerung als erworbener Zusammenhang der
eee beim bloßen Sehen mitwirkender Hinweis auf diese körper-
icnen Eigenschaften an, bekommen sie einen Körperwert im Gegen-
satz zum Raumwert. Ohne daß wir jetzt noch die Dinge wirklich in die
nand nehmen, urteilen wir sprachlich oder durch unsere Handlungen
oder durch Zuneigung und Abneigung über diese Eigenschaft.

Eine nicht völlig allgemeine Erfahrung ist z. B. die, daß das Un-
durchsichtige auch körperlich ist. Ausnahmen von dieser Erfahrung
smd sofort zur Hand, eben das Glas. Gewisse Effekte des Spiegels
belehren uns hier erst über die Körperlichkeit. Dennoch ist für die
 
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