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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Conrad, Waldemar: Der ästhetische Gegenstand, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0078
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74 WALDEMAR CONRAD.

Ich will hinzufügen, daß wie der Zuhörer beziehungsweise Zu-
schauer, so auch der Künstler bei seinem Produzieren und Reprodu-
zieren das Kunstwerk derartig »als einen Gegenstand« im Auge hat,
den er als einen identischen festhält, während er sukzessive einen
Teil nach dem anderen in Realität überführt; daß auch bei ihm den
mannigfachen Phänomenen, die die psychische Seite der künstlerischen
Tätigkeit ausmachen, dieses »Meinen« oder dieses »Hinblicken auf
einen Gegenstand« zu Grunde liegt1); daß also eben dieses Phä-
nomen für die Ästhetik überhaupt von hervorragender Bedeutung ist.

Diese sogenannte »intentionale« Beziehung, auf die zuerst
Husserl die allgemeine Aufmerksamkeit gelenkt hat, birgt nun durch
folgende Eigenart den Keim zur Weiterbildung der deskriptiven Me-
thode in sich.

Sie tritt nämlich auf in verschiedenen Graden der Klarheit, Be-
stimmtheit oder »Erfüllung« *); das »Meinen« des Gegenstandes kann
über das Gegebene hinausgehen oder darin seine »Erfüllung« finden;
das »Erfassen« kann ein adäquates sein oder ein inadäquates2); das
»Hinblicken« oder »Aufmerken« kann sein Ziel erreichen oder nicht8);
u. s. w. Die Weiterbildung jener beschreibenden Methode
besteht nun darin, daß ich den mir4) zunächst unklar und unbe-
stimmt in einem mehr oder weniger leeren »Meinen« vorschwebenden
Gegenstand, den ich zur Beschreibung seines Wesens ins Auge gefaßt
habe, mir4) »näher« bringe und zwar mir sukzessive eine Seite
nach der anderen zu adäquater Anschauung bringe und darauf
eine Beschreibung seiner einzelnen Wesenseigenschaften gründe,
die also in evidenten Urteilen gipfelt5).

Nun ist es selbstverständlich, daß es im Sinne jeder Beschreibung

') Ob diese Arten des Auftretens Formen der intentionalen Beziehung selbst
sind oder Formen eines sie in sich fassenden Phänomens, ist für unsere Zwecke
gleichgültig.

-) Je nachdem besitzt das sich darauf aufbauende Urteil Evidenz oder nicht.

s) Durch diese mannigfachen Wendungen, die natürlich nicht schlechthin hier
identifiziert werden sollen, soll nur darauf hingewiesen werden, wie unsere Sprache
sehr wohl das in Frage stehende Phänomen kennt. Und die verschiedenen Wen-
dungen mögen das Gemeinsame klarer hervortreten lassen.

4) Ich sage »mir«, denn ich kann nur erklären, was — objektiv gesprochen —
mir vorschwebt. Ob dies dasselbe ist, was einem anderen, etwa bei Gebrauch des-
selben Wortes, vorschwebte, ist eine andere Frage; von der »kommunikativen«
Funktion, von der Verständigung verschiedener Personen sehen wir also völlig ab.

6) Wir müssen uns darauf beschränken zu sagen, daß die Beschreibung in evi-
denten Urteilen »gipfelt«, denn es kann natürlich nicht davon die Rede sein, daß
bei einer phänomenologischen Analyse alle Urteile evidente seien. Vielmehr gehört
in praxi notwendig zu dem Verfahren das »Näher- und Näher-Bringen«, Umwege
und Umschreibungen mannigfacher Art, bis wir endlich »die Sache selbst« sehen.
 
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