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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Westheim, Paul: Plakatkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0124
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120 PAUL WESTHEIM.

Arbeiten anlegt, wobei allerdings die besondere Technik des Plakat-
stiles berücksichtigt werden mußte.

. Die ideale Absicht ist jedenfalls löblich. Läßt sich aber jene Vor-
aussetzung ohne weiteres annehmen? Das Plakat hat keinen Eigenwert
und keinen ästhetischen Selbstzweck. Es ist Reklamehilfsmittel und
dient einem Erwerbsbedürfnis. Das Wesen und die wirtschaftliche
Bestimmung des Anschlagszettels müssen den Ausgangspunkt bilden,
wenn wir die besondere Erscheinung der Plakatkunst klar erfassen
wollen. Der Reklamezweck ist die Grundlage, die allein einen art-
gerechten Maßstab und feste Richtlinien verbürgt. Der Geschmack
des einzelnen Betrachters — sei er auch noch so sehr durch ein künst-
lerisches Wissen geläutert — und die ganze Fülle seiner persönlichen
Urteilsbegabung versagen vor diesem derben Gebilde des Alltags, der
sich aus der Notwendigkeit heraus seine eigenen, zweckmäßigen Formen
erzeugt hat. Das Plakat ist nun einmal kein Gemälde und keine lieb-
liche Straßenverzierung. Man muß sich an den Gedanken gewöhnen,
daß es nicht ein Kunstwerk vortäuschen soll. Der Zeichner will oder
vielmehr kann hier nicht seiner innersten Empfindung Ausdruck ver-
leihen. Deshalb ist aber das Plakat nicht etwa ein vernachlässigtes
Stiefkind der Kunst, dem man mit aller Gewalt aufhelfen muß, um es
recht schön zu putzen. Es hat keinen Wert, ihm wesensfremde Eigen-
schaften aufpfropfen zu wollen. Wir müssen zu der Erkenntnis ge-
langen, daß das Plakat für sich etwas ist — und zwar etwas Ordent-
liches und Richtiges, etwas durchaus Nützliches.

Den Betrachtungen der kunstgewerblichen Schöpfungen unserer
Zeit wird stets der Zweck zu Grunde gelegt. Die Harmonie und auch
die Idee der Formensprache bilden nicht mehr den Fußpunkt unserer
Ästhetik. Das Gesetz von den verschiedenartigen Wirkungskräften
und Arbeitsaufgaben ist zum vorherrschenden Gedanken geworden.
Der Zweck, der sich seine Form geschaffen hat, ist das Neue und
Wertvolle. Unsere Künstler bauen heute einen Stuhl, der bis in das
letzte Glied des Aufbaues seine besondere Bestimmung verrät, der
unwillkürlich zum Sitzen einladet. Ein Tintenfaß bekennt sich als
nützliches Schreibzeug und versteckt sich nicht mehr wie bei einem
Meißener Porzellanstück in das Gewand einer schönen Dame, die man
vor dem Gebrauch erst am Kopfe packen und bis zum Hüftband
herunternehmen mußte. Ein Brunnen, wie ihn etwa Obrist oder Wrba
entwerfen, ist nicht mehr ein gotischer Kirchturm im Kleinen oder
eine Rolandsmaskerade. Fast mit der Aufdringlichkeit der Pedanterie
betont unsere angewandte Kunst ihren Gebrauchszweck — und der
Zweck des Plakates ist die Reklame.

Der Kaufmann bestellt ein Plakat, um sein Absatzgebiet zu er-
 
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