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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Westheim, Paul: Plakatkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0125
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PLAKATKUNST.

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weitern. Es soll ihm Käufer und Kunden anlocken und das Publikum
auf seine Waren, seinen Namen oder sein Unternehmen aufmerksam
machen. Wertlose Versuche gibt es in dem Ernst des Erwerbslebens
nicht; jede Reklame entspringt einem zwingenden Ausdehnungsbedürf-
nis. Der Geschäftsmann betrachtet die Gelder, die er für diesen Zweck
aufwendet, als ein Anlagekapital, dessen Zinsen er in dem gesteigerten
Warenumsatz ernten will, das seiner Arbeitskraft und seiner Tüchtigkeit
den Weg zum verdienten Erfolg schaffen oder wenigstens ebnen soll.
In dem Plakat sieht er einen Marktschreier, der mit seinen farbigen
Gebärden die Menge anlockt. Die Tätigkeit des Anreißers erlaubt keine
bescheidene Zurückhaltung. Wollte er vornehm werden, so würde
ihn sein Herr hinauswerfen. Wenn das Plakat dem Kaufmann nicht
dient, braucht er keinen Künstler und keine Kunstanstalt zu bemühen.
Er wird ja nicht von einer kunstfreundlichen Neigung bestimmt: er
hat gar kein persönliches Interesse, mit seinen Arbeitsmitteln die Ge-
bildeten oder die Ungebildeten für die Kunst zu erziehen, er hat keine
Lust, mit seinem erworbenen Gut zum eigenen Nachteil Alltagskultur
zu treiben. Wir dürfen uns nicht durch unsere künstlerischen Leiden-
schaften zu untauglichen Forderungen hinreißen lassen. Täuschen
wir uns nicht über des Kaufmanns wahre Absichten: er will Geld
verdienen, und das Plakat soll ihn mit allen seinen Kräften unter-
stützen. Wer von der Affiche etwas anderes verlangt, vergewaltigt sie.

Man kann bei einer ruhigen Betrachtung dem Geschäftsmann kaum
einen Vorwurf daraus machen, daß er einer weitherzigen Kunstbegeiste-
rung an der Schwelle seiner Arbeitsräume Halt gebietet; man kann
ihm wirklich nicht zumuten, daß er die Riesensummen seiner Propa-
ganda verschleudert, um einer dünnen Eliteschicht ein Vergnügen zu
bereiten, für das sie ihm niemals einen Gegenwert zu bieten hat. Die
Förderung der künstlerischen Kultur ist ein Gedanke, den er selbst
beim besten Willen nur in wenigen Fällen aufrecht erhalten könnte.
Er wird indessen die Kunst gern benutzen, wenn sie ihm die er-
wünschten Käufer mit Erfolg zuzuführen vermag. Aber dann ist sie
für ihn die ungewollte Nebensache. Die ideale Forderung wird stets
an dem Erwerbsbedürfnis abprallen. Im Übereifer wurde demgegen-
über vergessen, ob eine »Verkunstung« — um ein Wort von E. Heyck
zu gebrauchen — auch vorteilhaft und zweckmäßig ist. Es ist niemals
die Frage aufgeworfen worden, welcher Dienst denn wirklich der
Kunst hier geleistet werden könnte.

Ehe man zu einer Lösung und damit zu einer tieferen Erkenntnis
der wahren Natur der Plakatkunst gelangen kann, muß man sich über
die Wesenszüge der Reklame klar geworden sein.

So mannigfach auch die Erscheinungsformen sein mögen, allen
 
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