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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0161
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BESPRECHUNGEN. I57

(Initiierung)« oder der spezifischen »Zumutung«, was bedeutet, daß alles von uns
wahrgenommene, Vorgestellte, Gedachte eine sympathische oder antipathische
Stellungnahme, eine positive oder negative Einfühlung (Th. Lipps) oder, wie der
Verfasser sagt, »Mitahmung« oder »Gegenahmung« »inauguriert«. Den Vorgang
selbst beschreibt er: »Indem ich das Objekt als Objekt, d. h. ästhetisch betrachte,
erlebe ich mich selber, gebunden an das Objekt. Und diese Widerstandslosigkeit
des ästhetischen Gegenstandes läßt mich im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Er-
leben im ästhetischen Erlebnis ausruhen, während ich doch zugleich in ihm nur
wich selbst erhöht und bestätigt finde. Die Kunst verwaltet somit die Erlösung des
Individuums von sich selbst« (S. 171). ... »Damit aber ist nochmals auf die unge-
heure Gefahr des ästhetischen Erlebens hingewiesen. Da das ästhetische
jSchwelgen' eine tatenlose Selbstbetätigung, eine Befriedigung der Sehnsucht ohne
Arbeit, d. h. ohne Bewußtsein und Widerstand ist, so ist wohl möglich, daß das
ästhetische Erleben dem ethischen und intellektuellen Leben oftmals den Weg ver-
sperrt. Nur ein einziger Hemmschuh schützt uns vor der Erschlaffung im ästheti-
schen Verweilen. Das künstlerische Erlebnis muß zum religiösen Erlebnis hinüber-
uhren. Der Mensch stellt Kunstwerke, Ideale, Normen und erträumte Paradiese
Vor sich hin, um sie faktisch zu erfüllen. Sie bezeichnen das beste Teil seiner
selbst, das er in sich unterstreichen und verbreitern will und erreichen muß. . . .
.bald aber das ästhetische Gebilde von mir als religiöser Wert ergriffen wird,
'egt darin schon die Tendenz, auch im praktischen Leben dieses Gebild zu verleib-
lchen.« Skeptisch gegen die Schillersche und die Schopenhauersche Ästhetik, fühlen
^lr uns daher »umso sicherer und hoffnungsfroher in dem Bewußtsein, daß die
Kunst nicht, wie Schopenhauer will, an der Spitze, sondern am Beginne aller Kultur
steht, als das Morgentor, durch welches die Seele eingehen soll in das Land der
Tat« (S. 172).

Ein merkwürdiges Unternehmen ist es, Vorträge von diesem Umfange sozusagen

als Rohprodukt zu drucken, die zu Tage geförderten Ideen ungeläutert, mit allen

Schlacken vor uns aufzuschichten. Aber da der Verfasser selbst »die peinliche Ge-

w,ßheit des Anfängertums, der Unsicherheit in Feinheiten und gedanklichen Details,

er Unausgeprägtheit und des nervösen Ringens in Sprache und Form« offenherzig

el<ennt, so brauchen wir ihm auch in diesem Punkt weiter keine Vorwürfe zu

achen. Wunderlich ist es aber auch, wenn uns in den verschiedenen Kapiteln

d ein wohl abgerundeter Kathedervortrag in ruhigem, belehrendem Ton, bald eine

Phorismenfolge in verzücktem Stammeln geboten wird, und das alles ziemlich un-

rrnittelt — ein fleckiges Chaos, zu dem wir eine gewisse Distanz einnehmen

unten, damit es sich zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen könne. In

eser Distanz zum Verfasser befinden wir uns ja aber noch nicht.

Eine Stelle noch wollte ich nicht versäumen hier wiederzugeben. Der Verfasser

zahlt uns in seinen Vorbemerkungen: »Die Vorträge sind in einem großen Saale

s Dresdener Hauptbahnhofes gehalten worden. Während ich sprach, fiel mein

'ck auf die mächtigen Glasdächer und schönen Eisenkonstruktionen, auf Stahl-

'Ppen, Bögen, Brücken und Kuppeln, die Zweckmäßigkeit und Angepaßtheit unserer

age, unseren Stil; eine neue Schönheit und Kunst, die aus sozialem Nutzen und

'rtschaftlichem Fortschritt gewonnen und an praktisches Handeln geknüpft ist.

«" hörten das Donnern und Stampfen mächtiger Maschinen und atemloses Brausen

°n Bahnzügen in diese Vorträge dröhnen. Wir standen vor einer Welt von Dampf

Und Eisen, keuchender, überwachter Arbeit, Ruß und Stahl. — Aber das war uns

echt. Denn so wurde der Ort zum Symbol für die philosophische Richtung und

as umfassende Lebensziel, dem auch ein bescheidenes Gelegenheitsbuch dienen
 
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