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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0295
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BESPRECHUNGEN.

291

Unser Autor kennt auch ein »überindividuelles Gedächtnis« und — wie ich zu
meinem großen Staunen erfuhr, trotzdem ich durch das Vorhergehende schon etwas
abgehärtet war — »Organismen höherer Ordnung«, z. B. jede Menschheitsgruppe.
Was würde man zu einem Psychologen sagen, der es wagte, mit einer derartigen
Verkennung elementarster Tatsachen wichtige naturwissenschaftliche Fragen lösen
zu wollen? »Menschheit« ist nichts als ein abstrakter Begriff; und auch natur-
wissenschaftlich ist eine Menschengruppe kein neuer Organismus, sondern eine
Menge von Einzelorganismen. Es erinnert an schlechteste Scholastik (den bekannten
Universalienstreit), solchen Begriffen Realität geben zu wollen. Kohnstamm sagt:
der einzelne fühle die Bedürfnisse dieses höheren Organismus. Möglicherweise
schwebt dem Autor vor, daß Mitleid, Kindesliebe u. s. w. sogenannte soziale Gefühle
sind, die auf das Wohl eines größeren Kreises hinzielen. Dies ist doch aber stets
e'n Kreis von Individuen, nicht aber irgend ein Gesamtorganismus. Oder sollte
der Theorie vielleicht eine Art verworrener Pantheismus zu Grunde liegen? In-
dessen der Verfasser glaubt, diesen Organismen höherer Ordnung komme Aus-
druckstätigkeit und Einfühlung zu, und dies scheint unserer Vermutung zu wider-
sprechen. Schließlich: was hat denn dies alles mit einer Grundlegung der Ästhetik
2" schaffen?

Und so finden wir denn in dem ästhetischen Teil des Werkes zwar manche
Reffende Einzelbemerkung — ich möchte sagen trotz, nicht wegen seiner Grund-
anschauungen — aber keineswegs einen gesicherten Bau, der sich auf festen Pfeilern
erhebt. Es wird zwar viel von der »Einfühlung« gesprochen, aber die Einfühlungs-
lehre — mag sie nun richtig sein oder nicht — ist jedenfalls keine Entdeckung
Kohnstamms, obgleich er ihre Hauptvertreter nicht einmal erwähnt. Weiterhin ist
Sle — falls sie zu Recht besteht — jedenfalls etwas Psychologisches, etwas, das
durch psychologische Analyse auffindbar ist, aber nichts, das sich aus physiologischen
Erwägungen ableiten ließe. Ferner meint unser Autor, der künstlerische Wert eines
Eindruckes werde durch unbewußte Gefühle bereichert. Darin kann ich weder
etwas Neues noch etwas Richtiges sehen. Die Frage, ob überhaupt den Gefühlen
ästhetischer Wert zukommt, oder lediglich den ihnen zu Grunde liegenden Erschei-
nungen, hat Kohnstamm ganz übersehen. Ist man sich ferner dieser Bereicherung
~urch unbewußte Gefühle bewußt oder nicht? Letztere Ansicht wäre wohl eine
Konsequenz aus den Behauptungen des Verfassers. Sind wir uns aber dieser Be-
scherung nicht bewußt, wie können wir ihren Wert erkennen?

Zum Schluß meint Kohnstamm, daß die Biologie als »rechtmäßiger Erbe« das
''teure Vermächtnis des deutschen Idealismus von Kant und Schiller« wahre. Die

Biol

>'ogie tritt nun an Stelle der Philosophie. Man hat im 19. Jahrhundert so oft die

hüosophie zu Grabe geläutet, daß auch dies uns nicht überraschen kann. Wir
onnen trotzdem von einer »Wiedergeburt der Philosophie« sprechen, nicht weil
•e Naturwissenschaft geworden ist, sondern weil sie naturwissenschaftlicher Me-
°aen sich bedient, von denen allein ein wahrer Fortschritt zu erwarten ist. Die
Pekulationen Kohnstamms aber sind geradezu das Gegenteil streng naturwissen-
schaftlicher Forschung.

Prag.__________ Emil Utitz.

lexander Heilmeyer, Die Plastik seit Beginn des 19. Jahrhunderts.
Leipzig, G. j. Göschensche Verlagshandlung, 1907. kl. 8°. 108 S. und 41 Ab-
bildungen.

scb"fr d^n anSenehmsten Erwartungen nahm ich dieses Buch zur Hand. Be-
anigt sich doch der selbst künstlerisch veranlagte Autor seit Jahren mit diesem
 
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