Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

DOI Artikel:
Utitz, Emil: Kritische Vorbemerkungen zu einer ästhetischen Farbenlehre
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0368
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
360

ANMERKUNGEN.

bis dahin mit unseren beiden Autoren mich völlig in Übereinstimmung sehe, kann
ich dies von einem weiteren Punkt ihrer Erörterungen nicht behaupten: innerhalb
der restlichen 80°/o bestehen geringe »individuelle Verschiedenheiten in Bezug auf
quantitatives Unterscheidungsvermögen«, die aber bei weitem nicht so erheblich
sind, daß man sagen könnte, dieser Mensch hat ein »wesentlich anderes Farben-
empfindungssystem« als jener. Wie wir bereits wissen, darf man aus Unterschieden
des Unterscheidens nicht ohne weiteres auf Unterschiede des Unterschiedenen
schließen. Die Verfasser hätten sich klar machen müssen, daß Unterscheiden etwas
ganz anderes ist als Empfinden. Auch bei völliger Gleichheit des letzteren kann
ersteres verschieden sein; da spielen Übung, Interesse, eine Disposition zu gewissen
Gefühlen u. s. w. eine große Rolle. Was die Übung anbelangt, so haben die Ver-
fasser wenigstens teilweise ihre Macht kennen gelernt, wenn sie sagen: »daß die
Übung auch nicht ganz ohne Bedeutung ist, ergibt sich daraus, daß bei ein und
derselben Person die Schwellen bei mehrfacher Untersuchung mit der Zeit niedriger
werden, und weiter noch daraus, daß wir bei Kunstmalern, also Menschen, die
dauernd sich mit feinen Farbennuancen zu beschäftigen haben, einen durchschnitt-
lich quantitativ besseren Farbensinn vorfinden.« Genau ausgedrückt heißt dies:
Übung lehrt uns näher aneinanderliegende Nuancen als verschieden erkennen, sie
verbessert also unser Urteil, nicht aber den »Farbensinn«, wie die Autoren meinen.
Sie glauben, es käme hauptsächlich auf »angeborene individuelle Unterschiede«
an. Darauf ist zu antworten: sind es physiologische Faktoren der Empfindung,
dann fallen diese Personen unter die Rubrik der Farbenschwachen; aber dies dürfte
der weitaus seltenere Fall sein. Sonst können wir höchstens von angeborenen
Dispositionen zu gewissen Gefühlen sprechen. Daraus erklären sich aber nur Unter-
schiede der Farbenwirkung, nicht des Farbenempfindens. Ist erstere stark, so lenkt
sie natürlich mehr die Aufmerksamkeit auf die Empfindungsinhalte, die betreffende
Person beschäftigt sich mehr mit ihnen, und so vereinigen sich Übung und Interesse.
Man kann also noch in weiteren Grenzen — als es unsere Autoren tun — von
einem »normalen Durchschnittsfarbensinn« sprechen, indem vieles garnicht zur Emp-
findung, sondern in das Gebiet des Urteils beziehungsweise Gefühls gehört, also
auch nicht der Empfindung gut geschrieben oder zur Last gelegt werden kann.
 
Annotationen