378 CONSTANTIN HILPERT.
überrascht, denn nichts tritt völlig unerwartet vor ihn, alles ist, als
wäre es schon immer dagewesen und alles ist auch da, alles ist zu-
gleich da.«
Dieses Vorherahnen von Gefühlen, Gedanken und Handlungen,
hat es nicht irgendwie Beziehung zu dem plastischen Gefühl, das sich
in den Körper ein- und seine Bewegungen vorausfühlt? Und das
traumhafte Erfassen von irgendwelchen Zusammenhängen, das beinahe
jeder aus eigenem Erlebnis kennt und das sich so häufig bei Hof-
mannsthal findet, das er seinen Gestalten gibt und das so wenig not-
wendig und so bezeichnend dem Kaufmannssohn in einem Viertel,
»das er sich nicht entsinnen konnte je gesehen zu haben«, trotzdem
eine Kreuzung niederer Straßen plötzlich traumhaft bekannt vorkom-
men läßt — dies alles, hängt es nicht irgendwie zusammen mit seiner
Vorliebe für das Leuchten und Durchscheinen, mit seiner Abneigung
gegen die absolute Helle und Klarheit? Und weiter mit seiner Vor-
liebe für die verfließenden Grenzen, für das Unbestimmte?
Wie er das Romantikerwort »seltsam« liebt! Und alles »Irgend
wie«! Wie es ihn freut, von Gabriele d'Annunzio zu sagen1), er »hat
unlängst irgendwo eine ganz knappe Skizze seines Lebens veröffent-
licht« oder »er hat von seinem 12. oder 14. bis jetzt zu seinem 30. Jahr
12 oder 15 Bücher geschrieben«! Wie er die Halbtöne liebt, in Wahr-
nehmungen und Stimmungen — die Stunde zwischen Tag und Nacht
— die Zwischenstadien, die Übergänge, das Gleitende und Vermit-
telnde — und die geheimnisvollen Fäden und Verknüpfungen!
Aus alledem fließt seine Freude an ungewöhnlichen Verbindungen,
an solchen Reihen, wie die etwa aus dem Brief:
Eine Gießkanne, eine auf dem Felde verlassene Egge, ein Hund in der Sonne,
ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das
Gefäß meiner Offenbarung werden.
In diesen Augenblicken wird eine nichtige Kreatur, ein Hund, eine Ratte, ein
Käfer, ein verkümmerter Apfelbaum, ein sich über den Hügel schlängelnder Karren-
weg, ein moosbewachsener Stein mir mehr, als die schönste hingehendste Geliebte
der glücklichsten Nacht mir je gewesen ist.
Und das sind ihm Ketten, Ketten durch irgend welche Assozia-
tionsvorgänge, die ihm sogar die Gegensätze vereinen.
Er ist der Entzückte der großen Städte und der Entzückte der
Einsamkeit. Er ist der leidenschaftliche Bewunderer der Dinge, die
ewig sind, und der Dinge, die von heute sind. London im Nebel,
mit gespenstigen Prozessionen von Arbeitslosen, die Tempeltrümmer
von Luxor, das Plätschern einer einsamen Waldquelle, das Gebrüll
!) Gabriele d'Annunzio.
überrascht, denn nichts tritt völlig unerwartet vor ihn, alles ist, als
wäre es schon immer dagewesen und alles ist auch da, alles ist zu-
gleich da.«
Dieses Vorherahnen von Gefühlen, Gedanken und Handlungen,
hat es nicht irgendwie Beziehung zu dem plastischen Gefühl, das sich
in den Körper ein- und seine Bewegungen vorausfühlt? Und das
traumhafte Erfassen von irgendwelchen Zusammenhängen, das beinahe
jeder aus eigenem Erlebnis kennt und das sich so häufig bei Hof-
mannsthal findet, das er seinen Gestalten gibt und das so wenig not-
wendig und so bezeichnend dem Kaufmannssohn in einem Viertel,
»das er sich nicht entsinnen konnte je gesehen zu haben«, trotzdem
eine Kreuzung niederer Straßen plötzlich traumhaft bekannt vorkom-
men läßt — dies alles, hängt es nicht irgendwie zusammen mit seiner
Vorliebe für das Leuchten und Durchscheinen, mit seiner Abneigung
gegen die absolute Helle und Klarheit? Und weiter mit seiner Vor-
liebe für die verfließenden Grenzen, für das Unbestimmte?
Wie er das Romantikerwort »seltsam« liebt! Und alles »Irgend
wie«! Wie es ihn freut, von Gabriele d'Annunzio zu sagen1), er »hat
unlängst irgendwo eine ganz knappe Skizze seines Lebens veröffent-
licht« oder »er hat von seinem 12. oder 14. bis jetzt zu seinem 30. Jahr
12 oder 15 Bücher geschrieben«! Wie er die Halbtöne liebt, in Wahr-
nehmungen und Stimmungen — die Stunde zwischen Tag und Nacht
— die Zwischenstadien, die Übergänge, das Gleitende und Vermit-
telnde — und die geheimnisvollen Fäden und Verknüpfungen!
Aus alledem fließt seine Freude an ungewöhnlichen Verbindungen,
an solchen Reihen, wie die etwa aus dem Brief:
Eine Gießkanne, eine auf dem Felde verlassene Egge, ein Hund in der Sonne,
ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das
Gefäß meiner Offenbarung werden.
In diesen Augenblicken wird eine nichtige Kreatur, ein Hund, eine Ratte, ein
Käfer, ein verkümmerter Apfelbaum, ein sich über den Hügel schlängelnder Karren-
weg, ein moosbewachsener Stein mir mehr, als die schönste hingehendste Geliebte
der glücklichsten Nacht mir je gewesen ist.
Und das sind ihm Ketten, Ketten durch irgend welche Assozia-
tionsvorgänge, die ihm sogar die Gegensätze vereinen.
Er ist der Entzückte der großen Städte und der Entzückte der
Einsamkeit. Er ist der leidenschaftliche Bewunderer der Dinge, die
ewig sind, und der Dinge, die von heute sind. London im Nebel,
mit gespenstigen Prozessionen von Arbeitslosen, die Tempeltrümmer
von Luxor, das Plätschern einer einsamen Waldquelle, das Gebrüll
!) Gabriele d'Annunzio.