EINE STILPSYCHOLOGISCHE UNTERSUCHUNG.
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ungeheuerer Maschinen: die Übergänge sind niemals schwer für ihn
und er überläßt das vereinzelte Staunen denen, deren Phantasie schwer-
fälliger ist (Der Dichter und diese Zeit).
Das ist eine der Stellen, wo die philologische — und grapho-
logische — Handschriftenuntersuchung viel erschließen könnte, hier,
ob diese stilistischen Figuren glatt und fließend hingeschrieben sind,
oder ob viel daran gefeilt ist. Mir scheint es nicht mühsam zusam-
mengesucht, sondern die Projektion von inneren Vorstellungsreihen,
die sich irgendwie zusammenschließen, sei es durch ein Nebeneinander-
schauen, wie in einem Bilde, sei es durch gleiche oder verwandte
Gefühle, die sie wecken. Das ordnet sich so in sein Wesen ein, daß
eine Lücke wäre, wenn es fehlte. Es findet sich auch viel weniger
auffällig und bewußt, doch nicht minder stark in seinen Symbolreihen,
wo eins aus dem anderen hervorgetrieben, das Ganze ein wundersam
verknüpftes Leben hat, wie z. B. in diesen Terzinen:
Die Stunden! wo wir auf das helle Blauen
Des Meeres starren und den Tod verstehn
So leicht und feierlich und ohne Grauen.
Wie kleine Mädchen, die sehr blaß aussehn,
Mit großen Augen, und die immer frieren,
An einem Abend stumm vor sich hinsehn
Und wissen, daß das Leben jetzt aus ihren
Schlaftrunknen Gliedern still hinüberfließt
In Bäum' und Gras und sich mattlächelnd zieren,
Wie eine Heilige, die ihr Blut vergießt.
Von einer straffen Gedankenfolge nichts — aber in diesem so selt-
samen und natürlichen Aufsteigen des einen aus dem anderen eine
so suggestive Kraft: wir fühlen, hier trägt uns ein Geist durch das
geheimnisvolle Leben seiner Träume. — Es ist ein allgemeines Er-
lebnis, daß im Traum eins das andere aus der Tiefe hervorzieht, durch
ugend welche verborgene Liebe, daß sich mit der Natürlichkeit des
Wunders Fäden um die Dinge schlingen, die der wache Geist oft
nicht mehr zu sehen vermag, in die der Verstand nur selten not-
wendige Folge hineinbringt. Aber diese Vorgänge bleiben bei dem
einen mehr, bei dem anderen weniger im Unterbewußtsein, beherrschen
bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger auch das wache Leben.
Und Hofmannsthal ist ein wacher Träumer.
Mit seltsamen, nie vernommenen Worten
Reiß ich dir auf der Träume Pforten
"tft er seiner Seele zu, und sie vergißt ihre Müdigkeit. Er liebt den
Traum, diesen Ausfluß einer durch den Willen nicht entschieden be-
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ungeheuerer Maschinen: die Übergänge sind niemals schwer für ihn
und er überläßt das vereinzelte Staunen denen, deren Phantasie schwer-
fälliger ist (Der Dichter und diese Zeit).
Das ist eine der Stellen, wo die philologische — und grapho-
logische — Handschriftenuntersuchung viel erschließen könnte, hier,
ob diese stilistischen Figuren glatt und fließend hingeschrieben sind,
oder ob viel daran gefeilt ist. Mir scheint es nicht mühsam zusam-
mengesucht, sondern die Projektion von inneren Vorstellungsreihen,
die sich irgendwie zusammenschließen, sei es durch ein Nebeneinander-
schauen, wie in einem Bilde, sei es durch gleiche oder verwandte
Gefühle, die sie wecken. Das ordnet sich so in sein Wesen ein, daß
eine Lücke wäre, wenn es fehlte. Es findet sich auch viel weniger
auffällig und bewußt, doch nicht minder stark in seinen Symbolreihen,
wo eins aus dem anderen hervorgetrieben, das Ganze ein wundersam
verknüpftes Leben hat, wie z. B. in diesen Terzinen:
Die Stunden! wo wir auf das helle Blauen
Des Meeres starren und den Tod verstehn
So leicht und feierlich und ohne Grauen.
Wie kleine Mädchen, die sehr blaß aussehn,
Mit großen Augen, und die immer frieren,
An einem Abend stumm vor sich hinsehn
Und wissen, daß das Leben jetzt aus ihren
Schlaftrunknen Gliedern still hinüberfließt
In Bäum' und Gras und sich mattlächelnd zieren,
Wie eine Heilige, die ihr Blut vergießt.
Von einer straffen Gedankenfolge nichts — aber in diesem so selt-
samen und natürlichen Aufsteigen des einen aus dem anderen eine
so suggestive Kraft: wir fühlen, hier trägt uns ein Geist durch das
geheimnisvolle Leben seiner Träume. — Es ist ein allgemeines Er-
lebnis, daß im Traum eins das andere aus der Tiefe hervorzieht, durch
ugend welche verborgene Liebe, daß sich mit der Natürlichkeit des
Wunders Fäden um die Dinge schlingen, die der wache Geist oft
nicht mehr zu sehen vermag, in die der Verstand nur selten not-
wendige Folge hineinbringt. Aber diese Vorgänge bleiben bei dem
einen mehr, bei dem anderen weniger im Unterbewußtsein, beherrschen
bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger auch das wache Leben.
Und Hofmannsthal ist ein wacher Träumer.
Mit seltsamen, nie vernommenen Worten
Reiß ich dir auf der Träume Pforten
"tft er seiner Seele zu, und sie vergißt ihre Müdigkeit. Er liebt den
Traum, diesen Ausfluß einer durch den Willen nicht entschieden be-