EINE STILPSYCHOLOGISCHE UNTERSUCHUNG.
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einzelne Wesen, den einzelnen Vorgang, denn in jedem bewundert er
den Zusammenlauf von tausend Fäden, die aus den Tiefen der Un-
endlichkeit herkommen und sich nirgends wieder, niemals wieder
völlig so treffen« (Dichter und Leben).
Er hat es im Kleinen nicht; denn von den Assoziationen, deren
jede ja den Willen hat, ausgesprochen zu werden und die mit ihr
verknüpften anderen ins Bewußtsein zu ziehen, ist keine so stark, daß
sie sich dominierend hervordrängt. Erst der Denkwille schafft da
Ordnung, und Hofmannsthal kennt so sehr gut das Qualgefühl der
Wahl, »er kann nicht wählen, denn er kann nicht meiden«. Und das
hängt auch wieder mit dem Totalitätsstreben zusammen.
Und er hat es im Großen nicht. Denn es ist falsch, was man
gesagt hat: daß er stets das für seinen Stoff notwendige Milieu wählt.
Warum muß Gestern »in Imola zur Zeit der großen Maler« spielen,
warum Der Tor und der Tod und Das kleine Welttheater in den
»Zwanzigerjahren«? Warum Die Hochzeit der Sobeide in Persien
und schließlich auch warum Der Abenteurer und die Sängerin »in
Venedig um die Mitte des 18. Jahrhunderts«? Es sind ganz moderne
Menschen, die darin leben, modern in ihrem Empfinden, modern in
ihren Lebensgewohnheiten. Nein, hier spielt seine Freude am »Kostüm«,
am »Geschmack«, an dem Mitschwingen von Stileindrücken und an
der Distanz des Historischen, die er mit den Romantikern teilt. Und
vor allem hat er nicht das ureigenste Notwendigkeitsgefühl des Dra-
matikers, das jedes Wort nur von dieser und gerade nur von dieser
Gestalt aussprechen lassen kann. Im Tod des Tizian gibt er in einer
Version dem Gianino die Worte, die in der anderen Paris, Desiderio
und Tizianello sprechen. Und noch ein anderes fehlt ihm, was gerade
der Dramatiker haben muß: ein starkes Gefühl für den Gegensatz.
Schon in seinem Mangel an Überraschungsgefühl liegt das, denn wir
sind nur überrascht, wenn uns der Gegensatz zwischen dem Erwar-
teten und dem Eingetretenen auffällt. Dann zeigt es sich aber auch
in seinem Stil. Nicht nur daß ihm nie Neologismen aus dem Gegen-
satz erwachsen wie z. B. Nietzsche, der aus »Nächstenliebe« »Fernsten-
Hebe« bildet oder Heine aus »feindselig« »freundselig«. Er arbeitet
auch nie die Gegensätze heraus; stellt sie nie scharf gegenüber. Die
Kraft des Chiasmus kennt er nicht. Und wenn er auch hie und da
Antithesen hat, so ist diese Form in unserer Sprache, die ja doch
Einflüsse von Geistern wie Schiller nicht verleugnen kann, zu natür-
lich und ihm auch durch seine Beschäftigung mit Viktor Hugo beson-
ders nahe gelegt. Von unserer Zeit sagt er etwa1):
') Der Dichter und diese Zeit.
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einzelne Wesen, den einzelnen Vorgang, denn in jedem bewundert er
den Zusammenlauf von tausend Fäden, die aus den Tiefen der Un-
endlichkeit herkommen und sich nirgends wieder, niemals wieder
völlig so treffen« (Dichter und Leben).
Er hat es im Kleinen nicht; denn von den Assoziationen, deren
jede ja den Willen hat, ausgesprochen zu werden und die mit ihr
verknüpften anderen ins Bewußtsein zu ziehen, ist keine so stark, daß
sie sich dominierend hervordrängt. Erst der Denkwille schafft da
Ordnung, und Hofmannsthal kennt so sehr gut das Qualgefühl der
Wahl, »er kann nicht wählen, denn er kann nicht meiden«. Und das
hängt auch wieder mit dem Totalitätsstreben zusammen.
Und er hat es im Großen nicht. Denn es ist falsch, was man
gesagt hat: daß er stets das für seinen Stoff notwendige Milieu wählt.
Warum muß Gestern »in Imola zur Zeit der großen Maler« spielen,
warum Der Tor und der Tod und Das kleine Welttheater in den
»Zwanzigerjahren«? Warum Die Hochzeit der Sobeide in Persien
und schließlich auch warum Der Abenteurer und die Sängerin »in
Venedig um die Mitte des 18. Jahrhunderts«? Es sind ganz moderne
Menschen, die darin leben, modern in ihrem Empfinden, modern in
ihren Lebensgewohnheiten. Nein, hier spielt seine Freude am »Kostüm«,
am »Geschmack«, an dem Mitschwingen von Stileindrücken und an
der Distanz des Historischen, die er mit den Romantikern teilt. Und
vor allem hat er nicht das ureigenste Notwendigkeitsgefühl des Dra-
matikers, das jedes Wort nur von dieser und gerade nur von dieser
Gestalt aussprechen lassen kann. Im Tod des Tizian gibt er in einer
Version dem Gianino die Worte, die in der anderen Paris, Desiderio
und Tizianello sprechen. Und noch ein anderes fehlt ihm, was gerade
der Dramatiker haben muß: ein starkes Gefühl für den Gegensatz.
Schon in seinem Mangel an Überraschungsgefühl liegt das, denn wir
sind nur überrascht, wenn uns der Gegensatz zwischen dem Erwar-
teten und dem Eingetretenen auffällt. Dann zeigt es sich aber auch
in seinem Stil. Nicht nur daß ihm nie Neologismen aus dem Gegen-
satz erwachsen wie z. B. Nietzsche, der aus »Nächstenliebe« »Fernsten-
Hebe« bildet oder Heine aus »feindselig« »freundselig«. Er arbeitet
auch nie die Gegensätze heraus; stellt sie nie scharf gegenüber. Die
Kraft des Chiasmus kennt er nicht. Und wenn er auch hie und da
Antithesen hat, so ist diese Form in unserer Sprache, die ja doch
Einflüsse von Geistern wie Schiller nicht verleugnen kann, zu natür-
lich und ihm auch durch seine Beschäftigung mit Viktor Hugo beson-
ders nahe gelegt. Von unserer Zeit sagt er etwa1):
') Der Dichter und diese Zeit.