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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Conrad, Waldemar: Der ästhetische Gegenstand, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0518
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WALDEMAR CONRAD.

zukommen kann, und daher ohne jede Reflexion und ohne eine Ver-
teilung dieser einzelnen Momente an die redende und hörende Person;
die Wortlaute gelten als Phänomene der Wirklichkeit, denen man aber
trotzdem unbefangen Bedeutung, Stimmungscharakter u. s. w. zuschreibt.
Diese Oeisteshaltung ist der eigentlich ästhetischen noch nahe ver-
wandt, doch fehlt ihren Gegenständen schon jenes letztlich erwähnte
Charakteristikum der ästhetischen Gegenstände, daß eine ihrer mög-
lichen Ansichten die gemeinte ist, und außerdem hat sie die ständige
Tendenz, in die sogenannte »natürliche« überzugehen.

Man kommta) zu einer Kritik der Glaubhaftigkeit unserer Wahrneh-
mung, zu einer Scheidung von Schein und Wirklichkeit und zu einer
durchgehenden kausalen Weltauffassung. Die gehörten Laute sind
»wirklich«, die gesamte Bedeutungs- und Ausdrucksfunktion aber ist
diesen Wortzeichen nicht an sich zugehörig, sondern wird nur durch
uns, und zwar einerseits durch den Sprechenden respektive Lesenden,
andererseits durch mich, den Hörenden, mit denselben »verbunden«,
und eben hierauf, daß ich dies auf Grund von Erlernung in der gleichen
Weise tue wie der Redende, beruht die Mitteilungsfunktion der Worte,
die wir bisher immer hatten ausschalten müssen. Sie spielt eben nur eine
Rolle für diese natürliche Weltauffassung. Die Bedeutungsfunktion
ist mit den Worten nur assoziiert, ebenso die Ausdrucksfunktion, bei
beiden aber ist das Verhältnis des Redenden und Hörenden ein ver-
schiedenes: der Redende — so muß man von diesem Standpunkt aus
sagen — hat erst einen Gedanken oder ein Gefühl, und diesem gesellt
sich dem gewohnten gemeinsamen Auftreten entsprechend das korre-
spondierende Wort zu; das Wort wird erregt durch den Gedanken,
durch das Gefühl. Bei dem Hörer wird aber umgekehrt der Gedanke
oder das Gefühl erregt durch die aufgenommene Wortvorstellung.
Dazu kommt bei ihm aber noch der Rückschluß auf die psychischen
Vorgänge in dem Sprechenden; daß wir dieselben wirklich »wahr-
zunehmen«, aus den Worten zu »hören« meinen, ist von diesem
Standpunkte aus bloße Täuschung, nur »Schein«; ebenso wenn wir
im Gedicht selbst eine Stimmung wahrzunehmen meinen; im Grunde
ist die Stimmung ein psychisches Phänomen in uns, das wir in die
gehörten Worte projizieren, eventuell ist sie außerdem noch eine
Stimmung in dem Redenden und wahrscheinlich auch in dem Verfasser
des Gedichtes, aber wirklich notwendig ist weder das eine noch das

sehen .Sein und Schein*) nicht kennt« u. s. w. Und dann wird ausdrücklich darau
hingewiesen, »das künstlerische Genie ... ist gleich dem Kinde noch im Stande
der Unschuld«. Und S. 82: »In einer unbefangenen Philosophie (werden) regel-
mäßig Gefühlsqualitäten den Gegenständen, ja sogar den Dingen an sich beigelegt«-
') Ideal-genetisch gesprochen.
 
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