BEMERKUNGEN. g7
Reliefanschauung hier wohl zu Unrecht bestritten wird. Anderseits lassen sich doch
auch einige Gegenbeispiele aus dieser entsprungener Rundfiguren in der romani-
schen Kunst des Abendlandes nachweisen. Aber selbst in der Kinderkunst wird
man die Reliefgestaltung nicht mit Bosselt fast gänzlich vermissen, wenn man nicht
nach ihrer Verwirklichung, sondern nach der Absicht fragt. Die Beobachtungen
von Luise Potpeschnigg in Wien scheinen sogar ergeben zu haben, daß im frühesten
Alter die Mehrzahl der zeichnenden Kinder auch beim Kneten von der schema-
tischen Ansicht, also von der Sehform und nicht von der Seh- (beziehungsweise
von der Form-)vorstellung ausgeht.
Die letzterwähnte Tatsache verdient um so mehr Beachtung, als die Tonarbeit
der Reliefgestaltung keineswegs entgegenkommt, sie vielmehr geradezu beeinträchtigt.
Und der Verfasser führt ja selbst in der anschließenden Betrachtung aus, daß die
Technik an sich höchstens formbedingend, aber niemals formgebärend wirken kann,
^■e übt, je nachdem der Arbeitsgang mit der künstlerischen Vorstellungsweise über-
e'nstimmt oder nicht einen fördernden oder hemmenden Einfluß. Der Hildebrand'-
scnen einseitigen Überschätzung der Steintechnik für das plastische Schaffen tritt
daher Bosselt entgegen und betont folgerichtig die Bedeutung des irrigerweise
m'ßachteten Modellierens für den Aufbau der Form. Denn wo der künstlerische
bedanke aus dem Kubischen (also aus der Sehvorstellung) entspringt, geht ja auch
der Meißelarbeit und vollends in der Bronzeplastik dem Guß in der Regel die Her-
stellung eines Ton- oder Wachsmodells voraus, — sogar dem freien Herausschlagen
aus dem Stein bei Michelangelo, dessen Vorstellungsweise mit Recht, wenigstens
r die Zeit seiner Reife, als eine kubische angesehen wird. So wird die frucht-
bare Rückwirkung der Steintechnik wiederum auf die Reliefanschauung eingeschränkt.
Urfi dem Kubischen das Quälende zu nehmen (so weit es das hat), bedarf es keines-
wegs der Vereinfachung durch diese. Erreicht wird das vielmehr durch die Organi-
ation der Form, unbeschadet ihres größten Reichtums, wie vor allem bei Michel-
ngelo. Worin diese besteht, vermag ich freilich aus den Ausführungen des Ver-
ssers nicht ganz klar zu erkennen. Gleichwohl hat er zweifellos auch darin recht,
aß Monumentalität nicht notwendig Vereinfachung erfordert, sondern nur da, wo
le Plastik in Verbindung mit Architektur durch das Fernbild, also reliefmäßig wirken
soll. ihre selbständige Berechtigung aber habe sie gerade im Nahraum und hier
auch den Anspruch auf den höchsten Formenreichtum.
Wenn Bosselt nun den stärksten Gegensatz zu Hildebrands Auffassung im
. ffen Rodins erblickt und zum Beweise dafür besonders auf die Bürger von Calais
. inrer von jeder Reliefanschauung gelöstenjJAufstellung verweist, so wird man
ur die Mehrzahl von dessen Werken zweifellos anerkennen müssen, daß er von der
ehvorstellung ausgeht. Allein das schließt nicht aus, daß auch er der Ansichts-
orderung nicht nur in einzelnen Gestalten — für seinen Adam gibt es der Verfasser
ZU
. sondern auch in manchen erst nachträglich aus solchen zusammengesetzten
^"■uppen doch volles Genüge leistet, so z. B. bei den aus der Wiederholung dieser
'gur in drei verschiedenen,Wendungen bestehenden »Schatten« oder in der »Sapphoc
" den beiden als Spiegelbildern aufgefaßten Lesbierinnen, die sogar durch eine
rt Reliefgrund (beziehungsweise durch die zwischen ihnen stehen gelassene Stein-
masse) verbunden sind. Eine solche Zusammenfassung verschiedener Ansichten ein
Und desselben plastischen Gebildes in einer Reliefanschauung kommt auch bei
a|teren durchaus kubisch denkenden Künstlern, so z. B. im Reiterkampf Bertoldos
or- Selbst in der Kinderkunst werden schon Gruppen nach der Ansichtsforderung
zusammengestellt. Etwas anders liegt hingegen der Fall ur der Tat bei den Bürgern
v°n Calais. Sie sind, wie die Denkmäler von Viktor Hugo und Balzac und andere
Reliefanschauung hier wohl zu Unrecht bestritten wird. Anderseits lassen sich doch
auch einige Gegenbeispiele aus dieser entsprungener Rundfiguren in der romani-
schen Kunst des Abendlandes nachweisen. Aber selbst in der Kinderkunst wird
man die Reliefgestaltung nicht mit Bosselt fast gänzlich vermissen, wenn man nicht
nach ihrer Verwirklichung, sondern nach der Absicht fragt. Die Beobachtungen
von Luise Potpeschnigg in Wien scheinen sogar ergeben zu haben, daß im frühesten
Alter die Mehrzahl der zeichnenden Kinder auch beim Kneten von der schema-
tischen Ansicht, also von der Sehform und nicht von der Seh- (beziehungsweise
von der Form-)vorstellung ausgeht.
Die letzterwähnte Tatsache verdient um so mehr Beachtung, als die Tonarbeit
der Reliefgestaltung keineswegs entgegenkommt, sie vielmehr geradezu beeinträchtigt.
Und der Verfasser führt ja selbst in der anschließenden Betrachtung aus, daß die
Technik an sich höchstens formbedingend, aber niemals formgebärend wirken kann,
^■e übt, je nachdem der Arbeitsgang mit der künstlerischen Vorstellungsweise über-
e'nstimmt oder nicht einen fördernden oder hemmenden Einfluß. Der Hildebrand'-
scnen einseitigen Überschätzung der Steintechnik für das plastische Schaffen tritt
daher Bosselt entgegen und betont folgerichtig die Bedeutung des irrigerweise
m'ßachteten Modellierens für den Aufbau der Form. Denn wo der künstlerische
bedanke aus dem Kubischen (also aus der Sehvorstellung) entspringt, geht ja auch
der Meißelarbeit und vollends in der Bronzeplastik dem Guß in der Regel die Her-
stellung eines Ton- oder Wachsmodells voraus, — sogar dem freien Herausschlagen
aus dem Stein bei Michelangelo, dessen Vorstellungsweise mit Recht, wenigstens
r die Zeit seiner Reife, als eine kubische angesehen wird. So wird die frucht-
bare Rückwirkung der Steintechnik wiederum auf die Reliefanschauung eingeschränkt.
Urfi dem Kubischen das Quälende zu nehmen (so weit es das hat), bedarf es keines-
wegs der Vereinfachung durch diese. Erreicht wird das vielmehr durch die Organi-
ation der Form, unbeschadet ihres größten Reichtums, wie vor allem bei Michel-
ngelo. Worin diese besteht, vermag ich freilich aus den Ausführungen des Ver-
ssers nicht ganz klar zu erkennen. Gleichwohl hat er zweifellos auch darin recht,
aß Monumentalität nicht notwendig Vereinfachung erfordert, sondern nur da, wo
le Plastik in Verbindung mit Architektur durch das Fernbild, also reliefmäßig wirken
soll. ihre selbständige Berechtigung aber habe sie gerade im Nahraum und hier
auch den Anspruch auf den höchsten Formenreichtum.
Wenn Bosselt nun den stärksten Gegensatz zu Hildebrands Auffassung im
. ffen Rodins erblickt und zum Beweise dafür besonders auf die Bürger von Calais
. inrer von jeder Reliefanschauung gelöstenjJAufstellung verweist, so wird man
ur die Mehrzahl von dessen Werken zweifellos anerkennen müssen, daß er von der
ehvorstellung ausgeht. Allein das schließt nicht aus, daß auch er der Ansichts-
orderung nicht nur in einzelnen Gestalten — für seinen Adam gibt es der Verfasser
ZU
. sondern auch in manchen erst nachträglich aus solchen zusammengesetzten
^"■uppen doch volles Genüge leistet, so z. B. bei den aus der Wiederholung dieser
'gur in drei verschiedenen,Wendungen bestehenden »Schatten« oder in der »Sapphoc
" den beiden als Spiegelbildern aufgefaßten Lesbierinnen, die sogar durch eine
rt Reliefgrund (beziehungsweise durch die zwischen ihnen stehen gelassene Stein-
masse) verbunden sind. Eine solche Zusammenfassung verschiedener Ansichten ein
Und desselben plastischen Gebildes in einer Reliefanschauung kommt auch bei
a|teren durchaus kubisch denkenden Künstlern, so z. B. im Reiterkampf Bertoldos
or- Selbst in der Kinderkunst werden schon Gruppen nach der Ansichtsforderung
zusammengestellt. Etwas anders liegt hingegen der Fall ur der Tat bei den Bürgern
v°n Calais. Sie sind, wie die Denkmäler von Viktor Hugo und Balzac und andere