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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0134

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128 BESPRECHUNGEN.

nicht, aber seine rein praktische Ausführung führte auch ohne sie zu demselben
Ergebnis. Dies Ergebnis ist stets eine durch direktes Messen am Modell gewonnene
rein maßstäbliche Darstellung — die fraglichen Zeichnungen sind sogar stets noch
mit den Maßquadraten erhalten — der notwendigen Vorder-, Rück- und Seiten-
ansichten, die jeden Teil des Modells an der für die betreffende Ansicht richtigen
Stelle zeigen, also mit der ägyptischen »kindlichen« Darstellungsweise nicht in Ein-
klang zu bringen sind. Diese Vorder-usw.-Ansichten mußten, da sie aus genommenen
Maßen erhalten sind, die Verkürzungen und Überschneidungen so richtig wieder-
geben, wie es diese Art der Darstellung bedingt, also der richtigen Augen-Per^
spektive immerhin etwas angenähert. Aber es sind doch noch lange keine wirklichen
perspektivischen Ansichten. Diese technischen Zeichnungen verwenden nun die ägyp-
tischen Künstler, die vielfach Maler und Bildhauer gleichzeitig gewesen sein werden,
auch an Stellen in ihren Bildern, an denen solche Bildhauerwerke oder ihnen Ähn-
liches darzustellen war. Auf ihre Darstellungsart sonst hat dies aber keinen oder
nur sehr geringen Einfluß. Gerade da, wo man eine gewisse »perspektivische^
Darstellungsweise in menschlichen Figuren zu erkennen vermöchte (S. 189, Abb. 114
bis 116), können die betreffenden Darstellungen nicht mit den technischen Vorder-
oder Seitenansichten zusammengebracht oder daraus abgeleitet werden. Jene tech-
nischen Zeichnungen sind also eigentlich ohne wesentlichen Einfluß auf die Weiter-
bildung der ägyptischen Darstellungsweise geblieben. Vielleicht haben die Alten
gemerkt, daß diese technischen Zeichnungen doch die Körper nicht so wiedergaben,
wie sie sie sahen, und haben sie daher nur als »Erinnerungsbilder« für Statuen und
ähnliches in ihre Darstellungen eingesetzt. Jedenfalls haben sie für die perspektivische
Darstellung der menschlichen Gestalt daraus wenig gelernt.

Auch die Darstellung mehrerer gleichartiger Gegenstände durch seitliche oder
durch Höhenstaffelung, die Schäfer (S. 116) als »Zusammenfassung durch seitliche
Schrägansicht« bezeichnet, braucht man nicht so zu erklären. Das, was bei einer
seitlichen Schrägansicht mit das Wesentliche ist, nämlich daß neben der Vorder-
ansicht des Körpers auch seine Seitenansicht in die Erscheinung tritt, läßt der
Ägypter gerade unbeachtet (siehe z. B. S. 117, Abb. 71), woher dann auch der von
Schäfer (S. 119) hervorgehobene Mangel an Tiefenwirkung kommt. Man kann die
»Staffelung« auch ganz gut so erklären, daß der Zeichner andeuten will, daß hinter
dem ersten Gegenstand noch ein zweiter gleicher sich befindet, und dies dadurch
tut, daß er den zweiten ganz oder nur teilweise neben oder über den ersten zeichnet.
Es ist nicht notwendig, hier ein Bewußtwerden perspektivischen Sehens anzu-
nehmen.

Nach alledem neige ich dazu, die oben aufgeworfene Frage: haben die Ägypter
nicht anders gekonnt oder nicht anders gewollt, dahin zu beantworten, daß sie nicht
anders gekonnt haben, daß sie, wenn auch Ansätze dazu da sein mögen, doch trotz
der langen Zeit, die sie für die Fortentwicklung ihrer Zeichenkunst hatten, nicht
dazu gekommen sind, die Umwelt zeichnerisch so abzubilden, wie sie sie sahen,
daß sie vielmehr von der »kindlichen« Darstellungsweise nicht loskommen konnten.
Die Stilisierung der ägyptischen Zeichenkunst möchte ich also, ganz im Gegensatz
zu der der ägyptischen Bildhauerkunst, für keine absichtliche, sondern für eine auf
dem Unvermögen, es anders zu machen, beruhende halten.

Mit dem Vorstehenden ist bei Weitem noch nicht alles erschöpft, was zu Schäfers
Buch zu sagen wäre, es kann hier aber nicht auf alles eingegangen werden, was
daraus noch zu Erörterungen Anlaß geben kann. Nur ein wichtiger Punkt sei zum
Schlüsse noch besonders hervorgehoben. Schäfer versucht im zweiten Abschnitt seines
Werkes, soviel ich weiß, als erster den Zeitpunkt der Entstehung der »ägyptischen«
 
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