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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0133

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BESPRECHUNGEN. 127

drängte sich uns schon in einem anderen Falle auf, damals, als die Funde aus der
Bildhauerwerkstatt des Thutmes in Teil el-Amarna uns belehrten, daß die Alten durch-
aus ernste Naturstudien gemacht haben, daß sie sogar nach eigens dazu genommenen
Totenmasken gearbeitet, und daß sie trotzdem stilisiert, und zwar trotz allem Naturalis-
mus ägyptisch stilisiert haben. Da war die Frage so zu beantworten: sie haben
zwar anders gekonnt, aber nicht anders gewollt, sie haben also bewußt stilisiert.
Hier bei der Zeichenkunst liegt es anders. Daß die Ägypter ursprünglich einmal
"•cht anders konnten, als so »kindlich« darstellen, wird ohne weiteres zugegeben
werden müssen. Aber schon sehr früh tauchen für unsere Begriffe richtigere Dar-
stellungen auf mit leidlich wiedergegebenen Verkürzungen. Es sind dies Darstel-
lungen von Statuen in Seitenansicht (S. 187, Abb. 113) oder von Figuren in solchen
Stellungen, in denen sie oft statuarisch dargestellt wurden (Taf. 19, 1). In solchen
■"allen sind die Verkürzungen der Schultern zum Beispiel ganz richtig wiedergegeben
Und mitunter färben diese Darstellungen'dann auch auf anderes ab (Taf. 14, 2). Auch
schwieriger liegende Fälle von richtig wiedergegebenen Verkürzungen, zum Beispiel
eine über die andere, ausgestreckte, hinübergelegte Tatze eines liegenden Löwen
(S. 132, Abb. 87), lassen sich meist dadurch erklären, daß auch Derartiges in der
"undskulptur vorkommt. Für die Herstellung der Rundskulptur aber brauchte der
a'te Künstler eine auch für unsere Anforderungen richtige Wiedergabe, die er vor
Beginn der Ausführung auf seinen Block aufzeichnete. Es sind derartige Vorzeich-
nungen in Musterbüchern erhalten, in denen nicht nur Vorderansichten und Auf-
sichten von Sphinxtatzen mit richtigen Verkürzungen gezeichnet sind (Amtl. Ber.
aus den Kgl. Kunstsammlungen, 1917/18, 105 ff.), sondern sogar die recht komplizierte
Hinteransicht eines Geiers (Amtl. Ber. 1908/09, 197 ff.) mit geducktem, vom Leibe
teilweise verdecktem Kopf. Das sind nun in unserem Sinne keine Schaubilder, die
dle perspektivischen Verkürzungen und Überschneidungen wirklich richtig wieder-
geben, es sind vielmehr nach praktischen Gesichtspunkten gezeichnete Projektionen,
"''der, die die Gegenstände von unmöglichen, weil unendlich entfernten Standpunkten
aus gesehen darstellen, die aber die natürlichen perspektivischen Verkürzungen und
Überschneidungen bis zu einem gewissen Grade angenähert richtig wiedergeben.
*•!" zeichnen heute derartige Ansichten nicht nach der Anschauung, sondern kon-
struieren sie rein nach der mathematischen Theorie; der alte Ägypter, dem eine
solche Theorie noch nicht zur Seite stand, mußte diese Ansichten rein praktisch
Konstruieren. Er brauchte diese Vorder-, Rück- und Seitenansichten zum ersten Male,
s er anfing, nach einem vorhandenen Modell irgendeinen komplizierten Körper,
tWa eine stehende menschliche Figur, aus dem Steinblock herauszuarbeiten. Für
~uß- oder Treibarbeiten, die er schon sehr früh für Statuen anwandte — siehe die
Gruppe des mit dem Nilpferd kämpfenden Königs Usaphais aus der ersten Dynastie
vBorchardt, Annalen u. a. R., S. 36) — brauchte er noch keine dieser zeichnerischen
Ansichten, dabei konnte er noch frei nach dem Modell arbeiten, er konnte am Modell
nmittelbar messen. Sobald es aber aus dem vollen Stoff herauszuarbeiten galt,
am er mit dem Messen am Modell nicht weit; wenn er dabei nur mit direktem
Jessen gearbeitet hätte, hätte es ihm leicht vorkommen können, daß er Stücke des
Stoffes schon von Stellen fortgenommen hätte, an denen nachher vielleicht wichtige
Tei|e der Statue hätten sitzen müssen. Es zwang ihn also hier die technische Not-
Wendigkeit dazu, die genaue Lage aller Teile seiner Figur vor Beginn der Arbeit
auf den Außenflächen des Blocks, aus dem er sie herausholen wollte, zeichnerisch
estzulegen. Wir würden heute kurz sagen, er legte vor Beginn der Arbeit jeden
"nkt seines Modells zeichnerisch in einem rechtwinkligen, dreiachsigen Koordinaten-
system fest. Diese schönen Worte und Begriffe kannte der alte Ägypter natürlich
 
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