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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0137

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BESPRECHUNGEN. 131

g'bt Brandi mit sicherer Hand künstlerisch abgerundete Formung; ohne des hohen
Maßes der geleisteten gelehrten Arbeit unangenehm sich bewußt zu werden, folgt
auch der Ungeschulte willig seiner geschmeidigen Hand und atmet, innerlich be-
ruhigt und erhoben, den in dem stickigen Nebel unserer Tage doppelt berauschen-
den Duft einer alles Schöne leidenschaftlich bis zur letzten Möglichkeit auskosten-
den Zeit. — Die neuere Forschung ist, wie in jeder der bisher erschienenen Neu-
auflagen, sorgfältig berücksichtigt und ohne Störung des künstlerischen Maßes und
Gleichgewichts dem ursprünglichen Bestand eingefügt; vielleicht hätten Burdachs
tiefschürfende Forschungen noch weitergehende Berücksichtigung verdient. — Man-
ches ist präziser gefaßt, anderes vorsichtiger ausgedrückt; hie und da führt aller-
dings noch immer das Streben nach möglichster Prägnanz bei sparsamster Wort-
ver\vendung zu einer gewissen Gewaltsamkeit des stilistischen Qefüges. — Nur
weniges sei von Einzelheiten angemerkt, um vielleicht bei einer hoffentlich bald
notigen Neuauflage Berücksichtigung zu finden: daß Vinzenz von Beauvais gegen-
uber Albertus Magnus und Thomas von Aquino vor allem bemerkenswert sei (S. 12),
wird schwerlich von den Kennern mittelalterlicher Philosophie zugegeben werden.
uas Fegefeuer (S. 19) wird man nicht gut »besteigen« können, wohl aber den Fege-
berg; nicht die Zünfte (S. 32), sondern deren Mitglieder erscheinen als werdende
Kapitalisten. Die Zahl von 100000 Menschen, die in Florenz an der großen Pest
gestorben sein sollen, beruht sicher auf einer der zeitüblichen Übertreibungen. —
will man das innere Werden des humanistischen Gedankens in seinen Anfangs-
daten architektonisch klar aufbauen, so darf Petrarca in der Darstellung nicht auf
"Occaccio folgen, sondern muß ihm vorangehen. — Ungern vermißt man ein etwas
ausführlicheres Eingehen auf Lucrezia Borgias Persönlichkeit, in der so viele Strahlen
der Lebensanschauung der Hochrenaissance zusammenschießen.

Besonders erfreut hat mich — von dem Standpunkte aus, von dem ich selbst

■nst in das Problem der Renaissancekultur einzudringen versuchte, — daß die mate-
riellen und politischen Seiten dieser Kultur und ihre inneren Beziehungen zu den
trscheinungen des geistigen und künstlerischen Lebens jetzt eine weit stärkere Be-
rUcksichtigung finden, als das in den ersten Auflagen der Fall war. Und doch darf
der Wunsch geäußert werden, daß nach dieser Richtung in Zukunft noch ein mehreres
getan werde. Man braucht wahrlich kein Anhänger materialistischer Geschichts-
K°nstruktion zu sein, man mag das starke von marxistischer Basis aus niemals

n erfassende Eigenleben und die immanente Gesetzlichkeit der künstlerischen und
geistigen Werte gerade in der Renaissance noch so lebhaft betonen und kann doch
d'e Ansicht vertreten, daß ein vollgültiges und vollsaftiges Bild der Renaissance-

ultur den dunkelfarbigen, rauchigen Hintergrund des praktischen Lebens nicht ver-
nachlässigen darf, wie er nicht nur in der brüchigen Moral, sondern vor allem auch
Iri der materiellen Struktur des Lebens und dem sozialen Aufbau der Renaissance-
gesellschaft in die Erscheinung tritt; nur so wird das Spielen ins Rosenrote ver-
öden, werden die Farben richtig gemischt. Der Renaissancemensch als allseitig-
entwickelter, fest in dieser für ihn so schönen und reichgeschmückten Erde wurzeln-
der Menschentypus ist nirgends früher und klarer entwickelt worden, als im welt-
UlT>spannenden Kaufmann, Bankier und Industriellen der italienischen Handels- und
Gewerbestädte. Die Möglichkeit aber zu solch ungehemmter Weite der Lebens-
sPannung, zur vollen Entwicklung aller freien Persönlichkeitswerte, zu einem Mäze-
"atentum größten Stiles, wie es dann etwa die Mediceer entfalten, wäre niemals
Segeben gewesen, hätten nicht Tausende von Lohnsklaven, in den Florentiner Vor-
städten eng zusammengepfercht, ohne jede sittliche Schranke kapitalistisch ausge-
beutet und von allen Herrlichkeiten des großen und schönen Lebens außerhalb
 
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