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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 2
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Dorner, Alexander: Die Erkenntnis des Kunstwollens durch die Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0223

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BEMERKUNGEN. • 217

, Damit, daß das kunstgeschichtliche Einzelobjekt, das einzelne Kunstwerk, vom
kunsthistorischen Standpunkt aus keine Handlung, sondern ein Ergebnis ist, ist
keinerlei Grund gegeben, es in Wesensverwandtschaft mit den a priorischen Erkennt-
nissen rein analytischer Art oder a priorisch-synthetischer Art (wie die Sätze der
reinen Mathematik) zu setzen. Auf Kantischer Grundlage fußend, kann man zweifel-
los die a priorischen Existenzbedingungen des Kunstwerks an sich, formal
analytisch, zeitlos als reinen Verstandesbegriff festlegen, man kann aber niemals die
jeweilige Entstehung der praktischen Einzelerscheinung eines zeitlich bedingten,
Seschich fliehen Kunstwerks aus diesen abstrakt formalen Begriffen heraus,
a|s historisch notwendig erklären. Die Betrachtungsweise der kunstgeschichtlichen
Abfolge verlangt aus der Andersartigkeit der Gattung eine andere Methode, als die
"er reinen Geschichte. Das einzelne Kunstwerk ist Geschichte insofern, als es zeit-
lich gebunden ist, Schöpfung insofern es eine Festlegung für alle Zeiten ist. Und
'ndem es diese beiden Eigenschaften in sich zu einer Einheit verschmilzt, verlangt
es notwendig seine eigene Betrachtungsweise. Mit seiner beabsichtigten metaphy-
s'sch-formalistischen nimmt Panofsky aber geradezu dem geschichtlichen Kunstwerk
Se'ne Zwitterstellung, deren Erkenntnis der Anlaß zu allen seinen Betrachtungen
xVurde. Er spaltet das Einzelkunstwerk in seine beiden Teile, läßt den geschicht-
''chen Teil für sich laufen und erfaßt nur den zeitlosen mit a priorischen Begriffen.

Die praktischen Folgen einer solchen Betrachtungsweise stellen sich ungefähr
fo,gendermaßen dar:

1. Ich kann aus der kunstgeschichtlichen Reihe Einzelfälle gleichsam zeitlos
"erausnehmen und sie nach den dualistischen Prinzipien beleuchten. Ich komme
^ann z. B. zu den Begriffen objektivistisch und subjektivistisch (wie Riegl im
holländischen Gruppenporträt). Versetze ich diese Begriffe zurück in Reih und
ülied der geschichtlichen Abfolge, so zeigen sie dreierlei Schwächen: Erstens er-
geben sie keine zusammenhängende kunstgeschichtliche Reihe, sondern treten
"nmer nur als gesonderte Gruppen zu je zweien auf. — Zweitens stellen sie
feinen kunstgeschichtlichen, d.h. sinnlichen Vorstellungsinhalt (auch des
■\Unstwollens) dar, sondern nur eine unsinnliche Denkform. — Drittens gelten sie
r°tz dieser beiden Eigenschaften und der sich daraus ergebenden Abstraktheit
n'cht für alle Zeiten. Es ist das aber keine zufällige Eigenschaft der Begriffe
°ojektivistisch und subjektivistisch, wie Panofsky meint, sondern eine Wesenseigen-
^chatt aller Begriffe, die wie diese aus der begrifflichen Analyse eines praktischen
r~'nzelfalles hervorgehen. Suche ich aber weiter zurück nach Begriffen, die alle
künstlerischen Erscheinungen in sich fassen können, so ende ich notwendig bei der
abstrakten Begriffsdefinition des Kunstschaffens an sich, bei der vollends kein
Zweifel herrschen kann, daß sie mit der praktischen Kunstgeschichte überhaupt
n]chts zu tun hat. Sowohl diese letzte Stufe, als die vorhergehende des dualistischen
^egensatzes gehören in die Querschnittsebene des reinen Denkens. Damit, daß ich
an einen praktischen kunsthistorischen Fall ein solches Denkexerzitium anschließe,
. e Materie gleichsam zerlege auf der Querschnittsebene des reinen Denkens, habe
lch für die Klärung dieses Falles nichts getan. Dieser liegt in einer ganz anderen,
nämlich in der Längsschnittebene der Zeit, in der auch bei der Reihe der Kunst-
vollen eine Abfolge zu sehen ist, und zwar eine Abfolge von sinnlichen Vorstel-
Iungsinhalten. Verschmelze ich aber die Produkte dieser beiden Ebenen, d. h. ver-
setze ich die abstrakt formalen Querschnittsbegriffe in die Längsschnittsebene der
Praktisch historischen Inhalte, so begehe ich eine geistige Mesalliance, und die
daraus entstehenden Mißgeburten schwimmen in der Ebene der Zeit als inhalts-
°s« Schemen und haltlos umher.
 
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