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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 2
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François, Kurt von: Die ästhetische Bestimmung als absolute Wesensbestimmung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0229

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BEMERKUNGEN. 223

Sein, d. h. als ein Sein, das in seinen bloßen Beziehungen zu anderen Dingen und
zu uns doch auch im Sinn und Rechte seines Eigenwesens da ist, am gegebenen
Maßstab der eigenen Subjektivität zu bemessen und innerlichst zu verstehen, sind
gewisse psychische Bedingungen nötig: nämlich einerseits Subjektivität, d.h.
e'ne Kontrolle aller nur verstandesmäßig und abstrakt bewußten objektiven Tat-
sachen durch Sinne und Gefühl, die die Quellen aller Bewußtheit sind und daher
auch die letzten gültigen Wesensbestimmungen enthalten; andererseits aber Ob-
jektivität im Sinne einer Isolierung des anderen Dinges gegen das eigene Ich,
seinen persönlichen Willen und seine Zwecke; das Objekt muß, obgleich am Sub-
jekt bemessen, doch Objekt einer rein geistigen auf den absoluten Wesenssinn ge-
achteten Betrachtung sein.

In dem Gegen- und Zusammenspiel verschiedener Seelen- und Vorstellungs-
kräfte, wo eines gleicherweise als Ergänzung und als Gegensatz des anderen er-
scheint, in diesem wunderbaren Schauspiel des seelischen Mechanismus zeigt sich
aber eben die ästhetische Kontemplation als eine Seelenkraft, die gerade im ein-
dringlichen Erfassen der Sinneserscheinung und in der Gefühlsvertiefung zu einer
objektiv gültigen Wesensbestimmung gelangt. Diese eigentümliche Verbindung
v°n Subjektivität und objektiver Bestimmungstendenz ist ja recht eigentlich das
Problematische, scheinbar Widerspruchsvolle und so oft einseitig und falsch Ge-
deutete des Wesens der ästhetischen Betrachtung. Die Lösung ist: Der Wille tritt
In der ästhetischen Kontemplation aus der unmittelbaren Beziehung zu den Dingen
zurück, indem er sich, die persönliche Teilnahme vergessend, zum objektiven Be-
stimmungsmaß der Dinge wandelt; der Intellekt dagegen verläßt das Geleise der
gewöhnlichen Betrachtung, zwar nicht, um nach einem transzendenten Absoluten zu
spähen, wie die Transzendentalästhetiker meinen, wohl aber, indem er den reinen
^esenscharakter der Dinge in ihrem Reflex auf die menschliche Subjektivität der
S'nne und des Gefühls sucht.

So befreit sich also das Subjekt, mit der Seele zwar bemessend und doch mit
uern Ichwillen unbeteiligt, mit Wille und Intellekt, mit Geist und Seele aus der
essel und Enge einer Betrachtung, die immer nur eine relativische Wesensbewußt-
"eit gewinnt. Und indem sich in der ästhetischen Betrachtung das Subjekt, das
'U der Verbindung aller Dinge nur ein Glied unter anderen war und das sich, im
handeln und Leiden, schiebend oder geschoben, herrschend oder beherrscht, weiter
getrieben fühlte, aus dieser treibenden Bewegung löst und den Dingen als abso-
'ut bestimmendes Subjekt gegenübertritt, und indem es nun abseits stehend, das
v°rüberziehende und es umkreisende Leben betrachtet und mit Sinnen und Herz
Erfaßt, wird ihm dies zu einem Schauspiel voll tiefster und köstlichster Offenbarungen,
ts zeigt sich jetzt dem Blick des Staunenden, im Spiegel seines eigenen Selbst,
uas bisher verborgene reine An sich der Dinge; es gewinnt lebendigen Sinn, was
tot und gleichgültig erschien, es verklärt sich, was sich im Lebenswirbel um-
getrieben zeigte, zum ruhigen Bilde und Ausdruck der Natur. Die ästhetische Be-
trachtung dient dem rein geistigen Zwecke, sich den engen Verknüpfungen des
chs mit der Wirklichkeit des Lebens zu entziehen und das zu gewinnen, was wir,
'Ui Leben verstrickt mit den Dingen, ebensowenig wie in rein objektiver Intellek-
tualität gewinnen können: das geistig freie Bewußtsein des in der eigenen Subjekti-
vität der Sinne und des Gefühls gültig bestimmten Wesens der Dinge. Erst in der
ästhetischen Betrachtung wird die eigene Subjektivität zum absoluten Wesensmaß.
Jn diesem höchsten und letzten Sinn ist das Wesen der ästhetischen Betrachtung
MO Gegensatz zur primären Betrachtung zu verstehen.

Es erscheint nun zwar nur wie Phantasterei und Mystizismus, wenn die Tran-
 
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