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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Besprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0231

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Besprechungen.

^arl Birnbaum, Psychopatliologische Dokumente. Berlin 1920, Ver-
lag von Julius Springer. XII u. 322 S.
»Selbstbekenntnisse und Fremdzeugnisse aus dem seelischen Grenzlande<; heißt
er Untertitel dieses Buches. Birnbaum hat mit viel Fleiß und Geschmack seelische
Undgebungen pathologischer Art gesammelt, die in Briefen, Tagebuchblättern,
oenserinnerungen, Selbstbiographien und anderen Berichten niedergelegt sind,
abei leitet ihn der Gedanke, daß durchaus nicht selten bedeutsame psychische
'ebnis-, Entwicklungs- und Produktionsformen sich auf einem — wenn auch mehr
Qer weniger verdeckten — pathologischen Untergrund erheben; daß sie mannigfache

'alogische Bestandteile aufweisen; daß pathologische Triebkräfte im wesentlichen
aße an ;nnerl (ba\ü ursächlich, bald inhaltlich, bald formend und gestaltend) be-
''■gt sind. Obgleich Birnbaum meiner Ansicht nach zu einer Überbewertung des

, nologischen hinneigt, ist er doch vorsichtig genug, »an der grundsätzlichen« Er-
^nntnis festzuhalten: daß die psychische Höchstleistung, die geistige Schöpferkraft,

. e geniale Begabung — zwar dem Pathologischen an sich nicht versagt ist, aber —
etn natürlichen Charakter nach als ein Wesenselement der höchstorganisierten
sUnden Psyche gelten muß. Ich habe selbst diesen Standpunkt eingehend im
e'ten Bande meiner »Grundlegung der allgemeinen' Kunstwissenschaft« (1920)
treten und glaube, daß die von Birnbaum sauber herausgearbeiteten Dokumente
. r geeignet sind, ihn zu stützen. Wo er vom Pathologischen her einen künstle-
cnen Wertzuwachs annimmt, scheint dieser — soweit ich sehe — auf zwei Mo-
er"e zurückführbar: entweder ist der ganze seelische Aufruhr, diese Aufpflügung
® Aufreißung des Lebens, ein günstiger Boden für Produktion, bisweilen ein
egfall von Hemmungen, der Kühnheilen gestattet, aber dem auch Kritiklosigkeiten

. terschlüpfen. Man darf hier zum Vergleich an Alkoholwirkung denken; sie mag

. bestimmten Fällen unerläßliche Vorbedingung oder Begleiterscheinung schöpfe-
cher Leistung sein, sie ist doch — grob gesprochen — sogar unter günstigsten
/"ständen nur eine Kraft, welche eine Maschine in Gang bringt und antreibt,
cnt diese Maschine selbst. Und an dem unregelmäßigen, stoßweißen Gang der
aschine wird man überdies meistens merken, welche Kraft hier im Spiele ist.
"d zweitens kann das Pathologische zu Lebenserfahrungen befähigen, die dem
0rrnalen verschlossen sind. In diesem Sinne kommt es als Material in Betracht.
rnbaum hat gewiß das Verdienst, daß er sich nicht damit begnügte, irgendwelche
rankheitszeichen bei bedeutenden Persönlichkeiten festzustellen, sondern in jedem

JJ fragte, in welcher Beziehung sie zu den geistigen Leistungen stehen. Dieser
eS einer sich verfeinernden Analyse muß fortgesetzt werden, wenn wir wirklich

u eindeutigen Ergebnissen vordringen wollen. Er wird einerseits in Individual-

Psychologie einmünden, anderseits sicherlich auch typische Korrelationen zeitigen,
enn manche Zustände oder Depressionen verhalten sich grundsätzlich anders zum
ünstlerischen Schaffen, und es scheinen sich da ganz bestimmte Möglichkeiten zu
rgeben. Gleiches gilt von den verschiedenen Formen der Halluzinationen. Es

zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XVI. 15
 
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