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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0235

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BESPRECHUNGEN. 229

Was den Zusammenhang des Ästhetischen und des Religiösen innerhalb des
Kunstwerks betrifft, so findet ihn der Verfasser sachlich bereits in jeder mystischen
Berührung. Damit wird aber, wie ich glaube, die Eigentümlichkeit des Gottes-
enebnisses verwischt, denn sie liegt in der persönlichen Verbindung mit einem un-
sichtbaren Wesen, das schlechterdings niemals sinnliche Gestalt annehmen kann;
die unio mysüca kennt weder Anschauung noch Form, steht also dem Ästhetischen
durchaus fern. Auch die geschichtliche Wurzel des Zusammenhangs wird an falscher
Stelle gesucht. Herr Hartlaub glaubt, daß die Völker — welche? — einen Abstieg
vom Geistigen ins Physische erlebt haben — wann? — und in den Mythen die
tnnnerung daran bewahren. »Es hob die Kunst selber erst von dem Zeitpunkte
n> da das Subjekt die in ihm wirkende Kraft, welche seinen eigenen Leib aufge-
llt hatte, gleichsam ,abzufangen', sich als ,Phantasie' zu unterwerfen vermochte«
^■6). Solche Entwicklungsträume, von Schelling und Steiner eingegeben, deuten
auf eine rege Einfühlungs- und Einbildungskraft; ich werde dabei an unsere aller-
Ueuesten Tonsetzer erinnert, die ein paar unverbundene Dreiklänge anschlagen und
"j't ihnen ganze Welten zu enthüllen behaupten, da sie selber innerlich so viel
Hineinlegen und heraushören. Geschichtlich ist diese Verklärung des Ursprüng-
'chen kaum zu rechtfertigen. Eher begreife ich, daß Herr Hartlaub eine allmähliche
Verweltlichung der Kunst meint feststellen zu können, obwohl mir die Aufgipfelung
■n Nietzsche sonderbar erscheint. Von der Zukunft erwartet er eine Vereinigung
des Nietzscheschen Realisierungswillens mit der romantischen Gemeinschaftsidee.
Und noch mehr weiß er von der kommenden Religion zu sagen. Sie wird aus dem
mystischen Ichbewußtsein entstehen, aktivistisch gerichtet sein, ein Christentum der
Zukunft darstellen. Vor Angriffen der Naturwissenschaft ist sie sicher, weil jene
'"zwischen »längst ihre eigenen Grenzen und zugleich die noch ungeahnten Fähig-
sten der gottähnlichen Menschenseele anerkannt haben wird«; denn gewiß wird
eine vorurteilslose Durchforschung der gesamten sogenannten parapsychischen
"änomene langsam eine Welt neuer Wirklichkeiten" oder Gesetzmäßigkeiten ent-
ecken, welche die gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nicht aufheben,
v°hl aber unter sich lassen und in ungeahnte Zusammenhänge einrücken werden«
J* 18)- In der Anthroposophie ist der Ansatz zu einer neuen wissenschaftlichen
"Weltanschauung, im Expressionismus die gleichnishafte Ankündigung der werden-
en aktivistischen Mystik zu erblicken. Über den ersten Punkt kann ich mich hier
""t dem Verfasser nicht auseinandersetzen; zum zweiten Punkt jedoch möchte ich
Se'tie Ansichten mitteilen.

■ Der Expressionismus behandelt die Erscheinungswelt lediglich als Maya,
ansehende Verhüllung, Maske; er drückt sein Gefühl vom Geistigen in einer mög-
ichst wirklichkeitsfremden Gestaltung aus und kommt damit dem Wesen religiöser
Kunst ganz nahe. Auf einer ersten, auf der archaischen Stufe besteht der ȟber-
natürliche« Ausdruck im »Kristallinischen«, der Flächen- und Blockgebundenheit, der
ymmetrischen Stilisierung usw. Hierbei handelt es sich nicht etwa um die anschau-
iche Gestaltung eines Begrifflichen, sondern um »ursprüngliche Schauungen inner-
alb jeder auf die Sinnenwelt herabwirkenden übersinnlichen Sphäre selbst«, um
tle »imaginative Kraft«: »ihr verdanken jene ikonischen Typen das, was sie sank-
'oniert, sie bildet die Ursache ihres zähen Fortlebens« (S. 34). Das mag ja viel-
^■eht so sein. Indessen, man vermißt jede nähere Bestimmung des »imaginativen
fozesses« und jeden Beweis für seine Beteiligung an der Entstehung der Gebilde.
Uf einer späteren Stufe- des geschichtlichen Vorgangs tritt an Stelle der ägyptischen
ersteinerung die barocke Gleichgewichtsaufhebung, die unnatürliche Übersteige-
ng; Künstler dieser Art, so behauptet der Verfasser, haben seltener eigentliche
 
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