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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0237

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BESPRECHUNGEN. 231

ner, Leipzig und Berlin 1919. XII und 247 S. Mit 4 Abb. im Text und 5 auf
Tafeln.

Verschiedentlich ist schon der Versuch gemacht worden, Weltanschauungen
großer Dichter und Denker ihrer psychologischen Struktur nach zu erforschen. Mit
""heimlicher Schärfe hat Friedr. Nietzsche es gelegentlich unternommen, verborgenen
seelischen Wurzeln in Gedankengebilden oder Kunstwerken nachzuspüren und das
seelische Verhalten der Schöpfer zu deuten. Feinsinnig nachfühlend hat W. Dilthey Per-
sönlichkeiten aus ihren Werken zu verstehen gesucht und mit den Mitteln einer be-
schreibenden intuitiven Psychologie Typen von Weltanschauungen skizziert. Neuerdings
naben K. Groos und seine Schüler Arbeiten zu einer Psychologie der Literatur ge-
leiert, die sich hauptsächlich auf Dichter und auf Philosophen erstreckten und teil-
weise sich einer statistischen Methode mit Erfolg bedienen konnten. In seinen
"Untersuchungen über den Aufbau der Systeme« (Zeitschr. f. Psych., Bd. 49, 51, 55,
u» 62, 71, 77) hat Groos die Bedeutung gewisser formal-verstandesmäßiger Elemente
unseres Denkens für die Konstruktion von Weltanschauungen nachgewiesen. K. Jaspers
lat kürzlich ein interessantes Buch »Psychologie der Weltanschauungen« (Berlin 1919)
eröffentlicht, in dem er Typen von Weltbildern und Geistestypen festzustellen und
2:11 analysieren sucht, aber mit einer psychologisch-biologischen Konstruktion, die doch
Pr|nzipiellen Widerspruch herausfordert.

Schon vor Jaspers' Buch hat Müller-Freienfels seine psychologischen Unter-
suchungen über »Persönlichkeit und Weltanschauung« herausgegeben, die im Manu-
skript in der Hauptsache bereits 1914 fertiggestellt waren. Müller-Freienfels hat sich
dle Aufgabe gestellt, in der Weise einer differentiellen Psychologie aus philosophi-
schen und religiösen Weltanschauungen, aber auch aus Schöpfungen der Kunst die
Psychologische Eigenart der jeweiligen schaffenden Persönlichkeiten zu erschließen
Und das psychologische Verhältnis der Persönlichkeit zu ihren geistigen Gebilden
u begreifen. Weltanschauungsgedanken wie künstlerische Äußerungen sollen so
a's notwendige psychologische Produkte aus der Seele ihres Urhebers nach psycho-
tischen Kategorien verstanden, typische und individuelle Unterschiede bei ihnen
aufwiesen werden. Hauptsächlich kommt es Müller-Freienfels auf die Aufstellung
Und Verwertung einer psychologischen Typenlehre an. Er will geradezu an die
stelle der historischen Betrachtungsweise eine psychologische setzen, welche »gerade
a,e zeitlosen, jenseits aller nur historischen Bedingtheit nachweisbaren psychologischen
Aktoren für die Erklärung stärker heranzieht« (S. VI). Ich glaube nicht, daß man
Qle historische und die psychologische Methode in einen solchen Gegensatz bringen
■nuß> denn auch die historische Betrachtungsweise verwendet Mittel der Psychologie,
Und anderseits kann sich die psychologische Betrachtungsweise doch auch keines-
wegs auf »zeitlose«, außergeschichtliche Faktoren beschränken, es wird gerade oft
notig sein, die psychologischen Faktoren zur richtigen Würdigung in ihrer zeitlichen
Bedingtheit zu erfassen. Müller-Freienfels scheint mir an manchen Punkten doch
*e Tragweite seiner psychologischen Methode zu überschätzen und sie zu sehr als
allein oder vorzugsweise berechtigt hinzustellen, so daß er mit seinem Standpunkt
des »psychologischen Relativismus« der Gefahr einer ähnlichen Einseitigkeit anheim-
>allt, wie sie der von ihm bekämpfte Historizismus oder historische Relativismus
bedeutete. Wenn Müller-Freienfels nicht in einen bedenklichen Psychologismus
geraten will, muß er die Grenzen der psychologischen Methode schärfer abstecken
und die Unterscheidung der Eigenart des Psychologischen von dem Logischen, Meta-
physischen, Ethischen und Ästhetischen mehr beachten.

Aber wenn ich so in manchen prinzipiellen Fragen nicht mit Müller-Freienfels
übereinstimme, so brauche ich doch die Bedeutung des inhaltreichen, anregenden
 
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