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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0263

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BESPRECHUNGEN. 257

Fleisch seiner Söhne zu essen gibt und er hinterher von ihr hören muß, was er
gegessen hat, heißt es bei Gorsieben:

Gewaltig daher schritt das leuchtende Weib,
Atzung und Trank jetzt dem Eber zu reichen,
Und mit erbleichender Nase vernahm er die Botschaft.
Der Leser wundert sich, daß der Hunnenkönig hier plötzlich als Tier erscheint und
se'ne Speise als Atzung, und die erbleichende Nase findet er komisch. Steht er
dem Verfasser nahe, so wird er vielleicht etwas urtümlich Erhabenes zu verspüren
glauben. Es beruht aber der Eber auf einer falschen, ethymologisierenden Über-
setzung, mit der Nase verhält es sich ähnlich, und die ganze Stelle lautet überhaupt
"11 Original wesentlich anders. Derartige Fälle sind häufig. Besonders bezeichnend
s"id Zutaten wie: Da antwortet Günther, der Niblunge, wild. Ein gefundenes
dessen für den Bearbeiter war Brünhilds Eifersucht im Kurzen Sigurdsliede, und
selbstverständlich läßt er die Gelegenheit nicht vorübergehen, ihr awilde Begierc
und »unbezähmbare Gier« anzudichten an Stellen, wo etwas ganz anderes dasteht.
Die von Wieland genotzüchtigte Baduhild gesteht trotzig ihrem Vater:

Die Stunde der Not, war' sie niemals gekommen,

Ich wußte mich Wielands nicht zu erwehren,

Ich — wollte mich seiner erwehren auch nicht,
'm Original sagt sie einfach: seiner erwehren konnte ich mich nicht, seiner mich
Zu erwehren vermochte ich nicht, d. h. sie gedenkt trauernd oder verzweiflungsvoll
ihrer Ohnmacht. Nur dies ist altgermanische Gesinnung und germanischer Volksart
gemäß. Und nur dies ist ein befriedigender Schluß des Liedes von Wielands Rache.
Aber Gorsieben tut auch sonst fremdartige Erotik hinzu und vernachlässigt über
dieser und anderen Liebhabereien das, was den alten Dichtern den Sinn gefüllt hat,
^as Heroische und das Tragische. Die Kernworte, in denen die Helden der Edda-
"eder an den Höhepunkten der Handlung ihrer Gesinnung Ausdruck zu geben
liegen, bleiben bei ihm nur zufällig teilweise erhalten; mehrfach erscheinen sie
entstellt zu müßigem Gerede (S. 43, 127). Nach dem bruchstückweise bewahrten
Alten Sigurdsliede treibt Brünhild, die sich von Sigurd betrogen sieht, ihren Gatten
dadurch zur Tötung Sigurds an, daß sie diesen fälschlich der Untreue bezichtigt.
lm Kurzen Sigurdsliede ist dies kühne Motiv ersetzt durch ihre Drohung, den Mann
211 verlassen. Der Bearbeiter fügt die Stücke des Alten Liedes teilweise in das
Kurze ein und stellt so beide Motive nebeneinander, was nur möglich ist auf Kosten
der Psychologie der Handelnden. Mit ähnlicher Blindheit wird auch sonst Unver-
einbares zusammengefügt. Als »Sarlo und Hamedich« zur Rache ausreifen, hat bei
G°rsleben jenel' die Schamlosigkeit, zur Mutter zu sagen:

Wie könnten zwei Männer auch zehnhundert Goten

Binden und töten in der Burg ihrer hohen!
1,1 Wahrheit sagt dies die besorgte Mutter selbst, als sie den beiden ihren Halb-
bruder Erp (bei Gorsieben »Erpel< !) als Helfer mitgibt. Die angeführten Proben
des Versbaus zeigen diesen von seiner besseren Seite. Vor allem können sie, schon
Weil sie kurz sind, keinen Eindruck geben von der klappernden Einförmigkeit, die
das Ganze prägt. Der Verfasser hat, wie es scheint, den Anfang gemacht mit einer
Übertragung des Alten Etzelliedes, die schon 1914 gesondert gedruckt worden ist.
^'er erschienen die Rhythmen des Originals nicht übel nachgebildet, obgleich der
Stabreim nicht durchgeführt war. Das hing damit zusammen, daß dieses Denkmal
Verhältnismäßig silbenreiche, klirrende Verse baut. Die Mehrzahl der Eddalieder
hat vveit knapperen Versbau, mehr stampfenden Rhythmengang. Für diese Art hat

Zeifachr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XVI. 17
 
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