Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Baeumler, Alfred: Benedetto Croce und die Ästhetik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0323

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BENEDETTO CROCE UND DIE ÄSTHETIK. 317

Logik des Individuums),' Kant, Hegel (als Systematiker) lauten. Es ist
für Hegels Universalität bezeichnend, daß er in beiden Reihen am
Ende steht. Er versöhnt die Richtungen, die in den Gegensatzpaaren
Vico-Leibniz und Herder-Kant angedeutet sind. Die eigentümliche
Stellung Croces zu Hegel wird begreiflich, wenn man diesen als Höhe-
Punkt der auf das Historisch-Konkrete gerichteten Bestrebungen der
Vico, Herder, Schlegel usw. ansieht. Man versteht dann, was Croce
an Hegel bejaht, und was er verneint: Er bejaht Hegel als Vollender
Herders, er verneint ihn als Vollender Leibnizens (»Logizismus«).

Aus dem reichen historischen Material greift Croce nur diejenigen
Begriffe heraus, die in Beziehung zu seinen eigenen Theorien stehen:
Geschmack, Gefühl, Phantasie, Genie. Da dies wesentliche Begriffe
sind, ergeben sich substantielle historische Reihen. Aus der Einstel-
lung auf das in diesen Begriffen enthaltene Problem des Indivi-
duellen heraus beantwortet er die Frage, ob die Ästhetik eine mo-
derne Wissenschaft sei, mit ja. Die Ästhetik wird zugleich mit der
Modernen Philosophie geboren. Was vorhergeht, gehört, wie Croce
hübsch sagt, zur ästhetischen Prähistorie (95, 104). Der Subjekti-
vismus der neuen Philosophie ist die Vorbedingung der Ästhetik.
Erst als man die Philosophie unter dem Gesichtspunkt der Aufgabe
»das Inventar des menschlichen Geistes aufzunehmen« erblickte, war
die Möglichkeit gegeben, das Problem des Individuellen zu stellen und
*u lösen. Die eigentümliche Haltung Croces gegenüber der Ästhetik
,st nun dadurch bestimmt, daß er an demjenigen Punkte Halt macht,
ar> dem der Gedanke der alogischen Individualität zum ersten Male in
a'ler Breite entwickelt wird. Das geschieht durch den Italiener Vico,
der die Fülle des Individualitätserlebnisses der Renaissance mit Hilfe
der reichen, ganz Europa befruchtenden ästhetischen Literatur seines
Väterlandes in einen Begriff zusammenfassend, den in Bildern schöpfe-
r'schen, vorlogischen Grund der Persönlichkeit entdeckt und der pro-
duktiven Phantasie ihren Platz im »Inventar des Geistes« anweist.
Ästhetik und Geschichtsphilosophie vermählen sich in der »säenza
nuova<t auf Grund einer neuen Vorstellung von der menschlichen Indi-
vidualität. Statt zu erkennen, daß dasselbe, was Vico nur tatsächlich-
konkret aufzeigte, durch Leibniz logisch-systematisch begründet
worden ist und in der deutschen Logik und Ästhetik des 18. Jahr-
hunderts seine Erfüllung gefunden hat, erklärt Croce Vico für den
Höhepunkt seines Jahrhunderts. Sein eigenes System, die »ferne Zu-
kunft« (in), die Vico antezipiert, bestimmt das Bild der Vergangenheit.
Der Höhepunkt kann aber nicht da liegen, wo die Vorstellung der
•ndividualität gefaßt, sondern nur da, wo sie in Begriffen erfaßt
wird. Das geschieht erst in der Kritik der Urteilskraft und in der
 
Annotationen