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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 3
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Baeumler, Alfred: Benedetto Croce und die Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0324

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318 ALFRED BAEUMLER.

nachkantischen Ästhetik und Geschichtsphilosophie. Croces histo-
rische Beurteilung Vicos entspricht genau der Wertung eines deutschen
Ästhetikers, der in Herder, nicht in Kant den Höhepunkt der Ent-
wicklung erblicken wollte. Wäre seine eigene Ästhetik nicht vorkantisch-
vicianisch, so würde Croce die Unmöglichkeit einer derartigen Wertung
wohl sofort zugeben.

Es ist einer vorkantisch orientierten Philosophie der Gegenwart
nicht möglich, ein uns ergreifendes positives Programm zu formu-
lieren. Croce erkennt, daß sich seit einigen Jahrzehnten im europäi-
schen Denken eine Umwälzung vollzieht, daß »die Idee einer neuen
Philosophie« uns bewegt. Aber er glaubt durch die Worte, daß sie
antipositivistisch und antimetaphysisch sein werde, schon etwas zu
sagen, während solche Verneinungen, so richtig sie auch sein mögen,
doch niemals eine volle Vorstellung zu geben imstande sind.
Den Namen »Neuidealismus« lehnt Croce ab (118 f.). Über De Sanctis
sagt er einmal, daß sich hier die ästhetische oder historische Kritik
zu einer »Kritik des Lebens« erweitere (90). In diesem Ausdruck ist
der positive Gehalt des Gedankens der Zukunft angedeutet: Die
kommende Philosophie wird das Leben zum Gegenstand haben, aber
sie wird eine kritische Philosophie des Lebens sein. Das Individuum
wird nicht als hinzunehmende »gegebene« Tatsache, sondern als eine
durch Arbeit zu vollendete Totalität in ihrem Mittelpunkt stehen. Aus
der Abweisung des Neukantianismus und Neuhegelianismus, im Grunde
doch zugunsten Vicos, spricht die nationale Bedingtheit Croces. Es
wäre ein Irrtum, hier von Nationalismus zu reden, wie es R. M. Meyer
getan hat, wogegen sich Croce in einer ausgezeichneten Kritik Meyers
und Bartels' mit Recht zur Wehr setzt (192). Die Einseitigkeit Croces
ist nicht übertrieben und künstlich gemacht, sondern natürlich und
historisch gewachsen. Die Lehre von der Intuition ist eine Vollendung
der Ästhetik der Renaissance, deren Lebensprinzip, trotz aller Betonung
der Regelhaftigkeit, doch der Glanz und die Fülle des Individueller1
gewesen ist. Damit steht Croce wohl auf der großen Entwicklung3'
linie, nicht auf einer beliebigen Abzweigung, aber er steht innerhalb
dieser Linie auf einer historisch überholten Stelle. Die italienische
Ästhetik hat sowohl Frankreich als Deutschland mehr gegeben, als
man gemeinhin annimmt. Diese Anregungen sind in Deutschland
gründlich verarbeitet worden. Croce will uns wieder zu dem Matena'
zurückführen, das schon Kant und Hegel in gewisse Form gebracn
vorlag. Das ist historisch verdienstlich, systematisch kann es uns
nicht befriedigen, wenn wir das, was Kant und Hegel geleistet haben,
in seiner ganzen Tiefe voraussetzen.

Nachdem wir den Nachteil, den Croces historisch-nationale Stel-


 
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