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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 3
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Mies, Paul: Goethes Harfenspielergesang "Wer sich der Einsamkeit ergibt" in den Kompositionen Schuberts, Schumanns und H. Wolfs : eine vergleichende Analyse
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0391

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BEMERKUNGEN.

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auf dem Haupttaktteil verschärft wirkt. Diese Art des Ausdrucks hat H. Wolf ganz
besonders entwickelt, und man sieht bei ihm alle drei Interjektionen derart ver-
engert und betont. Hier wird der Ausdruck noch mehr verschärft, wie in dem
Schumannschen Beispiel, dadurch, daß die Begleitungsmelodie die betonte Note am
gehörigen Platze hat. Je eine Stelle aus Schumann und Wolf mit der zugehörigen
'nstrumentalmelodie setze ich als Beispiel nebeneinander.
II.
Schumann: Wolf:

seil

M—Vr

Ach! — der ist

f-------------------.------f----1----«----!#-

9^R=^

=*=*:

Ja

laßt

:P3=!-

=t



Überhaupt fällt in dem Liede Wolfs die vielfache Umgehung des betontesten ersten
Taktteils in der Singstimme auf, noch mehr wie bei Schumann. Am wenigsten
'st dies in der 3. Strophe der Fall, wo das jambische Versmaß am meisten mit dem
Sinnakzent übereinstimmt. In den Singstimmen bleibt also der erste Schlag des
Taktes mit einer entsprechenden Länge auch wirklich sinngemäß hochbetonten
Silben vorbehalten, z. B. Strophe 1 Vers 2 »bald«, Strophe 1 Vers 4 »Pein«, usf.
Die drei Faktoren, die für eine Betonung in Frage kommen, Stellung im Takt, Länge
Und Tonhöhe sind bei Wolf in ihrem gegenseitigen Verhältnis außerordentlich stark
differenziert und besonders die Betonung durch Stellung, die in ihrer, dem Takt
Entsprechenden gleichmäßigen Wiederholung bei den früheren Komponisten, sogar
"och bei Schubert, manchmal störend wirkt, ist bei ihm vermieden, und dadurch,
TOtt sie einmal ein, in besondere Bedeutung gestellt. Wesentlich dabei ist, daß
^er Takt selbst noch markiert wird, z. B. durch die ganz selbständige, rein musika-
lischen Gesetzen gehorchende Begleitung. Auch Schumann versucht ähnliches, wie
fflan an der vielfachen Taktverschiebung des folgenden Beispiels sieht:
III. ■

ü

nr

dr

dann bin ich nicht al - lein
Ihm war noch nicht so klar, daß >dann« und »ich« durch die Verschiebung zu
starke Betonung erhielten, wie ich oben auseinandergesetzt habe. Daher klingt die
Deklamation dieser Stelle — auch der Begleitungsbaß ist synkopiert — etwas ge-
zwungen. Die Verkennung der Absicht des Komponisten hat Reißmann') zu (meiner
Ansicht nach) völlig ungerechten Urteilen über Schumanns Wilhelm-Meister-Lieder
geführt.

So ergibt sich aus der Betrachtung der Rhythmik schon die veränderte Stellung
der Romantiker und Modernen gegenüber den Klassikern, zu denen wir Schubert
rechnen können. Den Satz von dem vermehrten Eingehen auf den Sinn des Ge-
dichts werden wir auch feststellen, wenn wir jetzt die einzelnen Textstrophen in
^en Kompositionen parallel miteinander vergleichen.

') A. Reißmann, R.Schumann, 1871, Seite 180.

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XVI.

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