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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0433

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BESPRECHUNGEN. 427

Croce erst nach Vollendung seiner eigenen Arbeit kennen gelernt, aber er wirft
auch ihm Übertreibung des Lebensgeschichtlichen und Seelendeuterei vor. In Wahr-
heit erfährt man doch viel Wertvolles gerade auch über künstlerische Fragen von
Gundolf, was man bei Croce vergebens sucht. Diesem wird man zustimmen, wenn
er empfiehlt, Goethe und sein Schaffen nicht grundsätzlich anders anzusehen als
andere Dichter, und einzuräumen, daß er »bisweilen gleich diesen nicht die höchsten
Anforderungen des dichterischen Gesetzes erfüllt«; das heiße seine Größe mensch-
lich sehen, und es sei wünschenswert, die Demut in den Großen aller Zeiten zu ent-
decken, nachdem sie in den letzten Jahrzehnten ins Ungeheure und Krampfhafte ver-
zerrt worden seien. So hat er schon zu Anfang Goethes Erscheinung zusammen-
gesetzt »aus ruhiger Tüchtigkeit, ernsthafter Güte und Gerechtigkeitsliebe, aus Weis-
heit, Gleichgewicht, gutem Menschenverstand und Gesundheit, mithin aus alledem,
was man als bürgerlich zu verspotten pflegt« (siehe aber dagegen seine Bemer-
kungen zu Hermann und Dorothea). »Die Kunst, sich unscheinbaren Pflichten zu
entziehen, sich zu überfeinem und zu übermenschlichen oder aber ins Sinnliche und
Bestialische auszuschweifen, wird man von anderen Meistern lernen können, sicher-
lich nicht von ihm. Er war tief, aber nicht .abgründig', wie man ihn jetzt hin-
stellen möchte, genial, aber nicht diabolisch. Sein Wort war einfach, klar und
wohlwollend«. Wo fände ich bessere Worte, um damit zu schließen?

Ein Anhang gibt einen Überblick über die Geschichte der italienischen Goethe-
kritik. Ein besonderes Lob gebührt der schönen Übersetzung Julius Schlossers.

Charlottenburg.

Erich Everth.

Bruno Golz, Wandlungen literarischer Motive. I. Hebbels Agnes Ber-
nauer. II. Die Legenden von den Altvätern. — Arbeiten zur Entwicklungs-
psychologie, herausgegeben von Felix Krueger. 4. Heft. Leipzig 1920. 94 S.
Wer sieht wohl dem gelehrten grauen Umschlag dieses Heftchens an, was für
eine Buntheit des verarbeiteten Materials, was für eine Beweglichkeit und Viel-
gestaltigkeit der schriftstellerischen Ausdrucksweise, was für eine gemütliche Wärme
und schwungvolle Frische des Vortrags zugleich in den beiden Abhandlungen herrscht
die sich hinter ihm verbergen? Und dennoch hat der Herausgeber durchaus recht,
wenn er im Nachwort (S. 93 f.) schreibt: »Die Gründlichkeit der Arbeit, die Zuver-
lässigkeit ihrer historischen Ergebnisse erleidet, soweit ich sehe, keine Einbuße
durch die essayartige Darstellungsform.« Im Gegenteil: der Psychologe kann hier
wieder einmal die Beobachtung machen, »daß die Gestaltungskraft der Künstler oft
deutlicher als das begriffliche Bemühen der Wissenschaft Tatsachen und wesentliche
Zusammenhänge des Gemütslebens vor uns hinzustellen vermag.«

Es handelt sich um »Wandlungen literarischer Motive«. An zwei Beispielen,
einem ziemlich speziellen und der Natur der Sache nach »moderneren«: dem Agnes
Bernauer-Stoff (S. 1—17), dessen Darstellung noch dazu ganz auf Hebbels Auffassung
zugespitzt und um sie herumgruppiert wird — und einem ungleich weitverzweigteren,
seinem Ursprung nach uralten und durch die ganze mittelalterliche und neue Lite-
raturgeschichte hindurch zu verfolgenden: dem Motivkomplex der »Vitae patrum«
(S. 18—92), soll gezeigt werden, wie eine bestimmte Idee, der »ein allgemein mensch-
lich bedeutsamer Gehalt innewohnt«, nachdem sie einmal auf eine künstlerische
Weise in eine Form eingegangen ist, vermöge der aller Form innewohnenden Kraft
neue Form aus sich zu erzeugen, weiterwirkt und in immer neuer Weise neu be-
arbeitet und neu gestaltet werden muß. Obwohl der Verfasser versichert, daß ins-
tesondere seine zweite Studie »nicht den Anspruch macht, das alte Legendenwerk
 
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