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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0434

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428 BESPRECHUNGEN.

erschöpfend zu kennzeichnen und seine Wirkungen in vollem Umfang darzustellen«
(S. 18), so verfügt er dennoch sowohl in hohem Maße über das zur Lösung einer
derartigen Aufgabe notwendige umfassende geschichtliche Wissen, als auch — was
vielleicht noch viel wichtiger ist! — über ein glückliches Kombinationsvermögen, das
aus der Fülle des zeitlich oft weit auseinanderliegenden und auch kultur- wie literatur-
geschichtlich höchst verschieden zu bewertenden Materials die durchlaufenden Fäden
herauszuarbeiten versteht, und so oft mit sicherem Blick ein »Motiv«, das nach
einer langen Zeit des Vergessen- und Verlorenseins wieder auftaucht, ergreift und
mit der Stelle richtig wieder in Verbindung bringt, wo der einstige Zusammenhang
zerrissen war, in den es ursprünglich hineingehört. Ich will hier die erste Arbeit,
deren literaturgeschichtlicher Wert vorzüglich in der Aufdeckung feiner und feinster
Fäden besteht, die von dem Dichter des »Käthchen von Heilbronn« und des »Prinz
von Homburg« zu dem Dichter der »Agnes Bernauer« laufen, nicht näher betrachten,,
so Vorzügliches und Neues sie auch enthält — und lieber an der Behandlung des
zweiten Themas »Die Legenden von den Altvätern« zeigen, wie Golz sich seiner
Aufgabe entledigt, da ihm erst hier ein vielgestaltiger Gegenstand, dessen bunte
Fülle durch eine lange Zeitstrecke hindurch in ihren mannigfachen Abwandlungen
und Auswirkungen verfolgt und dargestellt werden muß, Gelegenheit gibt, seine
Befähigung zur motivgeschichtlichen Untersuchung in wahrhaft glänzender Weise
zu erproben.

Golz beginnt mit einer anmutigen Charakteristik der hauptsächlichen Persön-
lichkeiten (also insbesondere des heiligen Antonius und Paulus), von denen die
Geschichten der »Väae patrum«. handeln, er fügt eine kurze Darstellung der ver-
schiedenen Kulturelemente hinzu, aus denen sich die widerspruchsvolle »Welt«
zusammensetzte, in der die »heiligen Väter« lebten und die sie mit Gottes Hilfe
zu überwinden suchten, und er führt in den wesentlichen Inhalt des alten Legenden-
buches selber ein, indem er eine humorvolle Zusammenfassung der hauptsächlichsten
Abenteuer gibt, die seine Helden im Kampf mit dieser »Welt« und ihrem Herrn,
dem Teufel, mannhaft zu bestehen hatten. Der Reiz dieser Abenteuer ist groß
— aber der Humor, der bereits im Originahverk »nicht gar zu selten« aufblitzt, ist
doch nur ein Mittel, die Kluft des »in dem Legendenwerk sich überall regenden
inneren Gegensatzes« zu überbrücken, der »wenn er relativ blieb, einen Ausgleich
zuließ«, der »aber eine wahre Geißel für das menschliche Seelenleben zu werden
drohte, sobald er sich zu einem schroffen, absoluten, die Lösung einzig und allein
im Spiritualismus suchenden Dualismus zuspitzte« (S. 18). Wie sollen wir diesen
Gegensatz, der den Christen »beim Lesen dieser frommen und doch bisweilen
so spannenden Legenden« mit »Schauern der Furcht und der Ehrfurcht« erfüllte
(S. 27), formulieren? Es ist der alte Zwiespalt von Sinnenglück und Seelen-
frieden, zwischen denen dem Menschen nur »die bange Wahl« bleibt, von alt-
christlicher Weltflucht und antiker Weltfreude, von naiver Lebenslust,
die dem Verführer folgt, wenn er sagt: die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen,
daß du ein Mensch mit Menschen bist! und von in sich gekehrtem Grüblertumr
das es hinaustreibt in die Einsamkeit, in die Wüste — allein mit sich, allein vor
Gott. Im Augenblick der bedeutsamsten Weltenwende, da die Angst der einsamen
sich nackt und bloß der Gnade ihres Schöpfers anheimgegeben fühlenden Seele den
Sieg davontrug über den Glanz und die Pracht einer versinkenden Kultur, ist etwas
von der geheimnisvollen Spannung dieses weltdurchgreifenden Gegensatzes einge-
gangen in unser im wahren Sinne des Wortes »populäres« Buch, das mit der Zeit
gewachsen ist und immer mehr erweitert wurde, an dessen Ausgestaltung Leuchten
der Kirche teilnahmen, wie der Bischof Athanasius und der heilige Hieronymus,


 
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