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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Jordán de Urríes y Azara, José: Ästhetische Sondernormen der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0461

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ÄSTHETISCHE SONDERNORMEN DER KUNST. 455

herein nicht weit genug. Man spricht von Artefakt nämlich gemeinhin
nur bei Gebilden der nachahmenden Kunst. Und es wird damit nur
ausgesagt, daß das künstlerische Objekt Schein ist. Ein solches Prädi-
kat aber fügt dem Kunstästhetischen nichts Neues hinzu, da doch alles
Ästhetische bereits Schein ist und jede ästhetische Betrachtung Auf-
schwung zur idealen Welt des Scheins bedeutet. Man muß sich daran
erinnern, daß eines der ästhetischen Grundprinzipien, subjektiv be-
trachtet, die Schwächung der Wirklichkeitsempfindung ist, wie eine
der ästhetischen Normen objektiver Gattung darauf fußt, daß der ästhe-
tische Gegenstand der Welt des Scheines angehört. Was folglich
nach dieser Richtung in der Kunst vor sich geht, ist nichts Neues.
Es bringt uns nur den Beweis dafür, daß die Kunst eine Steigerung
des Ästhetischen im allgemeinen ist, wobei sich der allgemeine ästhe-
tische Schein zum künstlerischen erhebt. Diesen Umstand erkannte
bereits Plato, aber er bewertete ihn in entgegengesetztem Sinne, inso-
fern er die nachahmende Kunst als zwei Grade von der wirklichen
Kunst entfernt ansah. — Daß alles Schöne ideal und daß die Kunst
Idealisierung sei, nicht etwa, wie diese früher aufgefaßt wurde, stoff-
lich, sondern wegen ihrer vollständigeren Zugehörigkeit zur idealen
Welt, das zeigt uns also nur den höheren ästhetischen Wert der
Kunst dem natürlichen Schönen gegenüber. Sie entspricht eben voll-
kommener der allgemeinen ästhetischen Norm des Scheins und er-
leichtert durch vollkommenere Befreiung von der Wirklichkeit die ästhe-
tische Schau. Aber es waltet dabei keine besondere künstlerische
Norm, wie es diejenigen sein sollen, die wir suchen.

Dagegen ist nun vom subjektiven Standpunkt aus betrachtet
und bezüglich der Haltung des Beschauers das, was die Kunst
dem Schönen hinzufügt, die deutliche Gewißheit darüber, daß jene
Schönheit Erzeugnis von Menschenhand ist. Und das bedeutet aller-
dings eine besondere Norm der Kunst: nämlich hinsichtlich der Hal-
tung des Betrachters. Solcher Norm entspricht dann weiter vom
Gesichtspunkt des künstlerischen Schaffens aus, daß der Künstler sich
als menschliche Persönlichkeit betätigt habe. Und da das Wesen der
menschlichen Natur die beiden unzertrennlichen Merkmale der Ratio-
nalität und der Freiheit enthält, so folgen vom Standpunkt des künstle-
rischen Schaffens aus die beiden weiteren Normen der Rationalität
und der Freiheit. Die Rationalität ist Ausdruck des theoretischen,
die Freiheit ist Ausdruck des praktischen Verhaltens. Wir wollen nun
sehen, was beide des näheren bedeuten.

Vernunftgemäß handeln heißt, gemäß einem Ziele zu Werke gehen
und die zu ihm führenden Mittel und Wege benutzen. In dieser Weise
 
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