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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Jordán de Urríes y Azara, José: Ästhetische Sondernormen der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0462

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456 JOSE JORDAN DE URRIES Y AZARA.

geht der Künstler nun fraglos vor. Der Künstler handelt nicht aufs
Gratewohl, sondern steckt sich ein bestimmtes Ziel: nämlich das, ein
künstlerisches Werk anzubieten, das als solches bei dem Betrachter
ästhetische Wirkungen hervorrufe. Neben diesem rein ästhetischen
Ziel kann der Künstler noch andere, außerhalb liegende Zwecke ver-
folgen, die sich teils auf ihn selbst beziehen, teils auf das Publikum.
Für sich selbst geht seine Absicht vielleicht auf Ehre oder Vorteil.
Dem Beschauer dagegen will er etwa religiöse Gefühle vermitteln oder
patriotische Empfindungen. Und im Zusammenhang mit seinen großen
Gesamtzielen stehen nun noch die zahllosen Teilzwecke, die jenen
Hauptabsichten dienen.

Daß der Künstler zielstrebig handelt, also Mittel und Wege be-
nutzt, wissen wir alle. Deswegen übt er sich und fühlt er innere
Befriedigung, sobald er das von ihm Erstrebte erreicht, während bei
ihm das Gefühl des Bedauerns aufkommt, nicht zweckentsprechend
gehandelt zu haben, sobald er erkannt hat, worauf sein Fehlschlag
zurückzuführen ist. Beobachtet man z. B. einen Maler, so wird man
wahrnehmen, wie er beim Aufzeichnen seiner Perspektive bestrebt ist,,
die Illusion des Raumes zu erzeugen; wie er beim Verteilen von Licht
und Schatten dahin zielt, mit seinem Helldunkel den frappantesten
Eindruck zu erreichen; wie er beim Zusammenstellen seiner Farben
danach trachtet, eine wohlgefällige Kombination herauszuholen. Mit
einem Worte, sein ganzes Verfahren ist darauf abgestellt, bei dem Be-
trachter seines Werkes in der einen oder anderen Weise ästhetische
Wirkung hervorzurufen. Auf Grund der Ergebnisse übt er selbst Kritik
und ändert sein Verfahren, sobald er merkt, daß sein Vorgehen ihm
die erwünschten Wirkungen versagt. Um sich dieses gemeinsame
Verhalten aller Künstler ganz zu verdeutlichen, muß man nur daran
denken, daß es in jedem künstlerischen Berufe Regeln gibt, die mehr
oder weniger bindend sind. Denn diese Regeln sind nichts als ein
System von Mitteln, um die künstlerischen Ziele zu verwirklichen. Und
auch die Anwendung dieser Regeln wird von der Vernunft beherrscht.
Der gute Künstler benutzt die Kunstregeln eben sinngemäß. Wer
dagegen anders handelt, gibt den Beweis, daß er nur routiniert ist.

Wenn wir die einzelnen Kunstausübungen verfolgen, so wird uns
der rationale Zug im Kunstschaffen vollends klar zum Bewußtsein
kommen. Für den Grundriß eines Gebäudes oder beim Entwurf eines
Gartens untersucht der Architekt die Gestaltung des Bodens, um die
günstigste Anlage herauszubringen. Wer eine Kamee schafft, benutzt
sogar noch die Unvollkommenheiten der Steine, um Wirkungen zu
erzielen, die ihm in anderer Weise nicht gelingen würden. Dank
seiner Kenntnis des menschlichen Herzens staffelt der dramatische
 
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