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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Jordán de Urríes y Azara, José: Ästhetische Sondernormen der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0463

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ÄSTHETISCHE SONDERNORMEN DER KUNST. 457

Dichter das Interesse für seine Szenen, damit während der Aufführung
des Werkes die Spannung des Publikums allmählich wachse, anstatt
abzunehmen. Bei der Instrumentation seiner Partitur weist der Musiker
diese oder jene Stelle dem einen oder anderen Instrument zu, das ihn
wegen seiner Klangfarbe für bestimmte Gemütsbewegungen am aus-
drucksvollsten deucht.

Allenthalben aber beherrscht der Künstler die Natur nur aus dem
Grunde, weil er sich ihren unweigerlichen Gesetzen unterwirft. Er
widerspricht ihr nicht, sondern er schlägt Vorteil aus dem, was ihm
die Natur bietet. Und so verfahren, heißt, vernunftgemäß verfahren..
Dagegen hieße es unvernünftig oder irrsinnig vorgehen, wollte man
absichtlich gegen die Naturgesetze verstoßen. Deshalb aber kann die
Theorie des Spiels als Erklärung der Kunst, wie sie von Schiller be-
gründet und von den Positivisten übertrieben ausgebeutet worden ist,
nur unter Vorbehalt zugelassen werden. Daß das freie Spiel unserer
Geistesgaben bei der Kunst in Frage kommt, ist zwar richtig; wie es
ebenfalls richtig ist, daß beide Begriffe, Spiel und Kunst, aus dem
Rahmen der Wirklichkeit herausfallen. Doch langt diese Definition
für die Kunst noch nicht zu. In ähnlicher Richtung weist Utitz der
Funktionslust im Kunstgenuß eine beherrschende Stellung an. Aber
beide Gefühlssphären, Funktionslust und Kunstgenuß, sind so wenig
gleichbedeutend, wie es Spiel und Kunst sind: da die Kunst nämlich
einen höheren Zweck in sich birgt und diesem gemäß verfährt. In
allem Künstlerischen wird zu einem wichtigen Wert hingestrebt, abge-
sehen davon, daß in der Kunst auch eine Form festgelegt wird, in
der sich die Gemütsbewegung objektiviert. Und in allen diesen Punkten
wie in manchen anderen hier nicht zu erwähnenden, trennt sich die
Kunst vom Spiel.

Nun herrscht bei den Laien bekanntlich die irrige Meinung vor,
die Kunst sei bloß Frucht der Eingebung, und sie steige vom Flimmel
herunter. Diese Ansicht ist besonders von den Dichtern genährt
worden, in erster Linie von jenen inspirierten Sängern, die seit Homers
Tagen die Musen anriefen. (Mvjviv asi§s, 0sd, EbjXTjidöejj, 'Ayilfjoc;. Homer,
Ilias.) Aber auch Plato vertritt dieselbe Ansicht, wenn er in seinem
Ion sagt, dem Dichter entreiße der göttliche Grimm eine eigentümliche
Kraft, der er seine Gesänge verdanke. Dieser Standpunkt muß aller-
dings gerade bei Plato besonders wundernehmen angesichts der Art,
mit der er die Künstler sonst als Nachahmer abtut. — Am häufigsten
wird wohl der Inspirationscharakter von der Musik behauptet. In-
dessen was den Wert eines musikalischen Motivs betrifft, sei es nun
seine Formenschönheit oder seine Ausdruckskraft, so steht doch wohl
fest, daß dergleichen nicht erlernbar ist. Hochwertige Motive wird
 
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