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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Jordán de Urríes y Azara, José: Ästhetische Sondernormen der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0495

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ÄSTHETISCHE SONDERNORMEN DER KUNST. 4gg

Rede sein, wie sie in der Kunst durch eine Mannigfaltigkeit von Künstler-
persönlichkeiten hervorgebracht wird. Denn in der Natur hat ein ein-
ziger Künstler, Gott, alle Dinge in einem Augenblick erschaffen. Indessen
kommt nun auch in den verschiedenen Künsten der persönliche Stil
des einzelnen Schaffenden nicht gleicherweise ungehemmt und durch-
greifend zum Ausdruck. So darf man in der Malerei, in der Skulptur,
in Musik uud Poesie viel eher vom ganz persönlichen Stil eines ein-
zelnen Meisters reden, als in der Architektur, wo es kaum vorkommen
dürfte, daß selbst der größte Künstler etwas als ausschließlichen Aus-
druck seiner Persönlichkeit hinzustellen vermöchte. Denn die Bauwerke
sind nicht Ausstrahlung eines Menschen sondern einer Epoche, eines
Volkes, einer Zivilisation. Und die Kraft der Baukunst erschöpfte sich,
als mit der Renaissance jeder Künstler seine Individualität zur Geltung
bringen wollte. Unter diesen Umständen sind aber auch heute keine
Anzeichen dafür gegeben, daß die Baukunst sich wieder belebe. Denn
der Individualismus geht zurzeit ins Übermaß, wie man das an den
kleinen und dekorativen Künsten noch sehen kann. Daß der Stil aber
eine kunstästhetische und keine naturästhetische Norm ist, bestätigt
sich auch am eben charakterisierten, unindividuellen Wesen der Archi-
tektur. Denn fehlt der Natur die Mannigfaltigkeit der Stile ganz, so
steht die Baukunst in ihrer großen Gleichförmigkeit der Stilarten der
Natur ja unter den Künsten ohnehin am nächsten. (Die Natur liefert
der Baukunst schon das Material, den Stein. Und während die Bau-
kunst nur über eine geringe Anzahl von Menschen herrührender Ideen
verfügt, herrscht in ihr als oberste Instanz das Gesetz der Natur, näm-
die Statik. Endlich besteht der stärkste Eindruck, den die Baukunst
auszulösen vermag, in ihrer Monumentalität. Und monumentale Wir-
kung löst auch die Natur am häufigsten aus. Denn beide teilen die
gewaltigen Dimensionen. Die Baukunst ist ja die räumlich ausge-
dehnteste von allen Raumkünsten.)

Es gilt noch einmal in wenigen Worten zusammenzufassen, was
Inhalt der ganzen, hier vorgetragenen Lehre ist. Die Kunst hat besondere
ästhetische Normen neben den allgemeinen ästhetischen, die auch für
sie gelten. Vom Standpunkt des Beschauers her fügt die Kunst zu
den allgemeinen ästhetischen noch zwei Eigen-Normen hinzu: das Be-
wußtsein dessen, daß der Gegenstand der Betrachtung ein Menschen-
werk ist, und die Vorstellung von der Persönlichkeit des Künstlers
auf Grund des Werkes. Diesen beiden Normen der Betrachtung ent-
sprechen solche des künstlerischen Schaffens. Der Norm des Wissens
um ein Menschenwerk beim Beschauer entsprechen beim Schaffenden
die beiden Normen der Rationalität und der künstlerischen Freiheit.
 
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