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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Schmarsow, August; Ehlotzky, Fritz: Die reine Form in der Ornamentik aller Künste, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0498

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492 AUGUST SCHMARSOW.

der unsere deutschen Dichter der klassischen Blütezeit uns alle ja hinlänglich ver-
traut gemacht haben, und wählen unter den übersichtlich gebauten und klar abge-
rundeten metrischen Gebilden dieser Art die sogenannte »alkäische Strophe«, deren
Schema sich in möglichster Einfachheit so darstellt:

<ZJ ---- \.J ---- K~J \ ---- \.J W ---- W K.J

yZJ — w — y^j I — k.j kj — <j v.^
vZ? — <.J — W I — y^y — W

— ^j\.j — k.j\.j ! — w — ^j

1. Das ist also ein Komplex von vier Verszeilen, oder sagen wir deutsch und
eindeutig zugleich: ein vierzeiliges Bündel. Diese Strophe besteht aus zwei ein-
ander gleichen und zwei unter sich ganz verschiedenen Verszeilen. Versuchen wir
zunächst das erste Paar genauer zu beschreiben, das sich als solches auf den ersten
Blick schon ausweist, so zeigt sich alsbald, daß jede Zeile wieder paarig gegliedert
ist. Von den vier Längen oder Hebungen, die sie enthält, entfallen je zwei auf jede
Hälfte. Von den Kürzen oder Senkungen dagegen verteilt sich eine ungleiche Zahl
hierhin oder dorthin, und bestimmt so den Unterschied der beiden Hälften unter
einander. Wir könnten sie also im Schema auch auf vier Reihen bringen, damit der
Gegensatz hervorspringe:

O — k.j — y^j O — \*j — y^j

— K.J \^J — W O oder gar so: — \^j \^j — ^J \^J
<ZJ — K-J — \.J O — v^» — k.j

— k.j y^j — w y*.j — <j w — <j k.j

Doch das würde die Auffassung als fortlaufende Einheit immer beeinträchtigen oder
ganz veruntreuen, und eben diese Zusammengehörigkeif beider Hälften zu einem
Ganzen gilt es festzuhalten.

Fragen wir dann im Sinne der alten Metriker nach dem Geschlecht oder Charakter
der sehr einfachen ersten Hälfte, so scheint es sich um eine »jambischen Dipodie«
zu handeln, oder genauer um ein Jambenpaar mit angehängter Kürze; denn der
Versfuß, den wir mit griechischem Namen »Jambus« heißen, besteht aus einer Kürze
und einer Länge. Aber sollte nicht schon aus dieser Zweigliedrigkeit der Einheit,
die als solche angenommen und als Grundmaß hingestellt wird, eine tiefergreifende
Erkenntnis einleuchten, nämlich daß die Übersetzung der griechischen Wörter
»Pous« und »Podie« mit dem deutschen »Fuß« eigentlich nicht stimmt, sofern wir
diese Bezeichnung nach unserem Körperteil genau nehmen, d. h. nur den untersten
dritten Abschnitt des ganzen Gliedes verstehen, das wir sonst Bein nennen. Eine
zweigliedrige Einheit aber, wie sie im Jambus und ebenso im Trochäus vorliegt,
sollte man richtiger als »Bein« bezeichnen, das auch dann in seiner Grundform be-
stehen bleibt, wenn ihm ein eigener Fuß fehlt. Ist sein Oberschenkel kürzer, heißt es
anders, als wenn der Unterschenkel kürzer ist; so unterscheiden wir^/— als Jambus
von — \^j als Trochäus. Erst die Wiederholung des Grundmaßes \_j — \_j— oder
— \^j — \^j entspricht der »Dipodie«, d.h. richtiger deutsch ausgedrückt nicht der
Zweifüßigkeit, sondern der »Zweibeinigkeit«, d. h. dem Paar von Beinen, das wir
als unseren Gehwerkzeugen verwandt begrüßen. Freilich findet man nicht allein
bei volkstümlicher Redeweise, sondern auch bei gewissenhaften Schriftstellern die
Bezeichnung »Fuß« als geläufige auch für das ganze Bein, so daß wir den über-
lieferten Kunstausdruck »Versfuß« ruhig hätten durchgehen lassen, wenn es uns
nicht darauf ankäme, gerade die Aufmerksamkeit des Lesers auf die doppelpaarige
Einheit zu lenken, die unserer eigenen menschlichen Gestalt entspricht, und beim
 
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